Max Günsberg


Sonderlager Locarno (Tessin)


Am 20.01.1941 erfolgte Max` Übersiedlung aus dem Arbeitslager Felsberg in das gänzlich neue Sonderlager „Nuovo Locarno“ im Tessin. Auch hierher kam er gemeinsam mit seinem Freund Nathan Wilder, den er seit seiner Flucht in die Schweiz kannte. Dieses Lager wurde erst unmittelbar zuvor Anfang 1941 als Sonderinternierungslager für "Linksextremisten" eingerichtet. In dieses Lager kamen praktisch ausschließlich solche Internierte, über die in Bern die "Ausschaffung" verfügt worden war, die Durchführung dieses Beschlusses aber unter dem öffentlichen Protest "vorläufig" ausgesetzt wurde. Hauptsächlich waren dies Kommunisten, also politisch in der Schweiz unerwünschte Personen (die kommunistische Partei der Schweiz war 1940 verboten worden), großteils Kommunisten aus Deutschland und Österreich, aber auch viele italienische Emigranten, die hier einer strengen Kontrolle unterliegen sollten. Das Regime war schärfer als in den zahlreichen "normalen" Arbeitslagern. Es gab vorerst keine Wochenendurlaube, keine Besuchserlaubnis und eine strenge Briefzensur. In ihrer Freizeit durften sich die Internierten auf der Talstraße nur in der Nähe des Lagers bewegen.
Die deutsche kommunistische Partei verlegte, ihre jahrelange Erfahrung in konspirativer Arbeit nutzend, die Gesamtleitung der Partei in dieses Lager. Laut dem Bericht eines Lagerinsassen übte die deutsche NS-Regierung Druck auf die Schweiz aus, das Lager zu schließen.


Die Verlegung von Max, eines jüdischen Wiener Emigranten ohne kommunistischen Hintergrund, in dieses Sonderlager ist bemerkenswert. Als Grund hierfür kommen folgende Sachverhalte, möglicherweise auch in Kombination, in Frage:

  • Sein Verhalten im Lager Diepoldsau, insbesondere das unerlaubt verlängerte Fernbleiben im August 1939, hatte wohl seine Zuverlässigkeit desavouiert.
  • Ein weiterer Grund für Max` Überstellung nach Locarno könnte sein Beitrittsgesuch zur„österreichischen Legion“ in Frankreich gewesen sein (siehe den entsprechenden Eintrag beim Lager Diepoldsau), da den Emigranten politische Betätigung jedweder Form ebenso verboten war wie die Erwerbstätigkeit. Selbst das Bekenntnis zu einem unabhängigen Österreich galt bereits als unerlaubte politische Willensäußerung, da der Anschluss Österreichs an Hitlerdeutschland von der Schweiz offiziell anerkannt worden war.
  • Unwahrscheinlich erscheint hingegen eine tatsächliche kommunistische Betätigung, da es dafür keinerlei Belege gibt, eine solche Einstellung nicht zu ihm gepasst hätte, und er auch nirgends diesbezüglich erwähnt wird.

Der Standort dieses Lagers befand sich in Malvaglia, etwa auf halber Strecke zwischen Locarno und dem Südportal des Gotthard-Tunnel im italienischen Teil der Schweiz, daher auch die Bezeichnung "Campo di lavoro per profughi". Die Wahl dieses Ortes im entlegenen, engen Tal des Benno, das nur durch eine Schmalspurbahn (die nicht mehr bestehende Biasca-Acquarossa-Bahn) zu erreichen war, sollte die teilweise militanten antifaschistischen Emigranten möglichst von den anderen Emigranten in den Arbeitslagern isolieren.

Zunächst musste das Lager jedoch erst einmal errichtet werden. Und Max Günsberg musste hier auch Hand anlegen.

Zu sehen ist hier der Bau der zweiten von drei Lagerbaracken im Norden von Malvaglia. Im Hintergrund erhebt sich der mächtige Cima di Gana Bianca (2.842m).

Rechts der Lagerkomplex, links ist die Biasca-Acquarossa-Bahn zu sehen. Diese private Schmalspurbahn wurde 1973 aufgelassen und demontiert.


Dieses Bild stammt aus Hans Teubners Buch - Exilland Schweiz, Berlin 1975


Max Günsberg bei einer Pause ganz oben liegend

Max Günsberg ist hier auf dem Bretterstapel ganz oben liegend zu erkennen


Am 03.03.1941 wies Max in einem Ansuchen um Verlängerung der Aufenthaltbewilligung in der Schweiz nochmals auf seine vielfältigen Bemühungen um eine Weiterreise in ein anderes Land hin. Unter anderem erwähnte er ein versprochenes Affidavit von Verwandten für eine Ausreise nach England. Bei diesen Verwandten müsste es sich um Frieda Günsberg und ihren Sohn Erich, die nach England geflüchtete Familie von Baruch/Bernhard Günsberg, dem Sohn seines Großonkels Aron, gehandelt haben.

Die kommunistischen Funktionäre des Lagers sahen in mustergültigem Verhalten eine Chance, die Isolation des Lagers zu durchbrechen. Und tatsächlich sollte die an den Tag gelegte Arbeitsdisziplin, die Ordnung und Sauberkeit im Lager Malvaglia dazu beitragen, dass das Regime etwas gelockert wurde und der Lagerleiter Bachmann guten Kontakt zur gesamten Belegschaft pflegte. Bereits am 31.03.1941 wurde aus Deutschen und Österreichern ein Freizeitausschuss gebildet, der Literatur- und Liederabende veranstaltete, die in der Burgruine oder im Steinbruch von Malvaglia auch von den Einwohnern des Ortes besucht wurden.


Max Günsberg stehend in der Mitte

Max Günsberg im Lagerchor stehend in der Mitte (er blickt auf das Liederbuch). Rechts neben ihm (Arme hinten) dürfte sein Freund Nathan Wilder zu sehen sein.
Dieser Chor wurde von einem österreichischen Kommunisten namens Ernst Schönherz geleitet und brachte es zu beachtlichen Leistungen. Unter anderem wurden auch Lieder in russischer Sprache vorgetragen.


Max Günsberg dritter von rechts

Max Günsberg als dritter von rechts


Das Foto aus dem Nachlass von Max Günsberg zeigt offenbar die Fußballmannschaft des Lagers Locarno.


Am 21.04.1941 bewarb sich Max um eine unmittelbar zuvor ausgeschriebene Stelle als Sanitäter beim Bau der gerade projektierten Susten-Straße. Er gab an, bereits in Felsberg als Hilfs-Samariter beim Bau der Straße von Felsberg nach Tamins Erfahrung gesammelt und einen Sanitätskurs besucht zu haben. Zudem wollte er diese Stelle unbedingt gemeinsam mit seinem Freund Nathan Wilder, den er ja bereits seit seiner Flucht im August 1938 kannte, antreten.
Die Lagerleitung in Locarno teilte der Zentralverwaltung der Arbeitslager am 24.04.1941 jedoch mit, dass sie Max dafür nicht als geeignet erachte. Daher wurde nichts aus Max´ Ansinnen.


Kurz nach dem 28.05.1941 erhielt Max Günsberg einen, möglicherweise sogar den letzten, Brief von seiner Mutter Etie Günsberg. In diesem Schreiben erwähnt sie abgesehen von innigen Grüßen unter anderem die Internierung seiner Schwester Herta in Tangermünde an der Elbe sowie die Bitte, für seinen ein Jahr zuvor, am 21.08.1940, verstorbenen Vater Setyk Günsberg am 9. August abends eine Kerze für die Jahrzeit ("...am 17.Aw, das ist der 10. August...") zu entzünden.
[Jahrzeit bezeichnet das Ende einer Trauerperiode, genau ein Jahr (nach jüdischem Kalender, also 354 Tage) nach dem Tod eines Angehörigen. Zu diesem Anlass wird eine Kerze angezündet, die 24 Stunden brennen soll]


Max Günsberg war nahe Malvagia, in Biasca beschäftigt und durfte seine Wochenenden in Locarno verbringen. Dies geht aus seiner Korrespondenz („…[Malvaglia, Biasca] von Montag bis Freitag, sonst Locarno…“) hervor. Da die anderen Internierten aus dem Lager in Malvaglia in dieser Phase nur einmal pro Monat und auch da nur in kleinen Orten und Dörfern ihren Urlaub verbringen durften, liegt die Vermutung nahe, dass er nicht als kommunistischer Funktionär angesehen wurde und zumindest in dieser Hinsicht keinem so strengen Regime unterlag. Das bestätigt auch ein Urlaub vom 21.06.1941 bis 29.06.1941 in Zürich, der den meisten anderen Lagerinsassen wohl verwehrt blieb.

Die Betätigung im Lager Locarno bestand aus Arbeit im Steinbruch, aus Dammbau und es wurde auch Moränegestein aus dem Bleniotal zur Gewinnung von Ackerland beseitigt. Zur Erntezeit fanden er und seine Kollegen auch als Erntearbeiter Verwendung. Die Arbeitsplätze in Malvaglia und Biasca waren alle gut und in kurzer Frist mit der Biasca-Acquarossa-Bahn erreichbar.


Max Günsberg und Kollegen bei einer wohlverdienten Pause

Max Günsberg als 4. von rechts


Kartoffelernte Gnosca 1941 Kartoffelernte Gnosca 1941

Kartoffelernte in Gnosca, ca. 25km südlich von Malvaglia 


Aufgrund einer nicht näher bezeichneten Erkrankung erhielt Max von 20.08.1941 bis 20.10.1941 zunächst zur Beobachtung im Spital in Zürich und darauf folgend zur Erholung Urlaub. Die Krankenkasse verweigerte trotz eines Attestes seines Züricher Arztes Dr. Eggerling die Übernahme der Kosten, Max musste deswegen umfangreichen Schriftwechsel führen. Am 13.10.1941 wurde er ..."100% arbeitsfähig"... wieder aus dem Krankenhaus entlassen, es seien jedoch ..."Anzeichen einer vegetativen Neurose feststellbar, die seine Arbeitsfähigkeit nicht beeinträchtigen würden"...


Am 28.09.1941 schrieb Max Günsbergs kleine Schwester Rita an ihren großen Bruder eine Grußkarte, angefertigt natürlich von einer "arischen Firma":


Max nutzte die Zeit im Krankenstand und schrieb, ebenfalls am 28.09.1941 wie seine Schwester, zum wiederholten mal an die Flüchtlingshilfe in Zürich und erbat die Möglichkeit einer Ausbildung.

Der Oktober 1941 sollte sich nunmehr als der bislang dunkelste Monat seines Exils erweisen.

Im Herbst 1941 begannen die organisierten Massendeportationen von Wiener Juden und am 15.10.1941 wurde der erste Deportationszug am Wiener Aspangbahnhof abgefertigt. In einem Brief an die Flüchtlingshilfe vom 27.10.1941 wandte er sich an „die schweizerische Judenschaft“ und flehte verzweifelt darum seine „…Mutter, die vor der Verschickung nach Polen steht, in die Schweiz retten zu dürfen."...

Dass seine kleinen Schwestern in diesem Brief keine Erwähnung finden, lässt mich darauf schließen, dass er sich die akute Lebensgefahr für Minderjährige zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal vorstellen konnte oder wollte.

Auf Grund der sich in den letzten Tagen in Deutschland häufenden Fälle, wonach jüdische Menschen ohne Unterschied auf Alter oder Geschlecht nach Polen verschickt werden, stelle ich an Sie die folgende Bitte. Durch ein Geschick, das ich nicht abwenden konnte bin ich in der Schweiz. Tatsächlich leiste ich seit 1 1/2 Jahren dem Schweizer Statt meine Dienste. Ich kann auch sagen, daß der Arbeitsdienst, den Juden im allgemeinen kein schlechtes Zeugnis ausgestellt hat. Wir Menschen haben vorläufigh weder Zukunft, noch Ideale. Ein Soldat steht an der Grenze und er weiß wofür, wir wissen es nicht. Kann ich meine Mutter retten, dann weiß ich wofür ich meinen Dienst geleistet habe, dann bekomme ich meinen inneren Wert wieder. Jedes Verlangen erlischt hinter diesem einen. Ich bitte die schweizerische Judenschaft es mir zu ermöglichen meine Mutter, die vor der Verschickzung nach Polen steht, in die Schweiz retten zu dürfen. Weder ein Weg zu einer Behörde noch irgend ein anderes ist mir in diesem Falle gegeben. Ich flehe Sie an, helfen Sie mir. Ob Sie jetzt allgemein oder vereinzelt handeln wollen, bitte handeln Sie schnell. IN größter Verzweiflung erwarte ich Ihren Entscheid und verbleibe mit Dankesschuld

Am 01.11.1941 stellte er ein Ansuchen an die Fremdenpolizei um Ausbildung zum Schreiner. Sein Ansinnen begründete er in einem Brief unter anderem so:

„…Nach Ausbruch des Krieges wurden meine sehr eifrig betriebenen Ausreisebemühungen vereitelt, so dass ich gezwungen war, weiter ein Leben des Vegetierens und Herumlungerns zu führen. Es war ein Glück für mich wie auch für meine Kameraden, als wir im Frühjahr 1940 in den Arbeitsdienst eintreten konnten. Sowohl dachten wir dies als eine Pflicht dem Land gegenüber, dem wir uns verbunden fühlten, um auf diesem Weg soweit es in unseren Kräften stand, diesem Lande zu dienen. Desgleichen ist es für einen Großteil von uns von Vorteil, da es diesen nun möglich wurde, dadurch einen Begriff von manueller Arbeit zu erhalten….“

Seine Bemühungen kamen nicht von ungefähr. Im Laufe des Jahres 1941 begann man auf die Ausbildung jugendlicher Emigranten mehr Wert zu legen um sie auf die Weiterreise vorzubereiten. Wie bereits angeführt, sah sich die Schweiz ja nach wie vor lediglich als Transitland.

“Emigranten im Alter von 22-40 Jahren sollen die Möglichkeit erhalten, […] einen […] handwerklichen Beruf zu erlernen“.

Max wollte, wie er in seinem Ansuchen ausführte, „nach Abschluss der jetzt wichtigen Erntearbeiten“ am 01.12.1941 eine sechsmonatige Schreinerlehre bei August Bruder in der Schaffhauserstraße 119 in Zürich beginnen. Aber wie anzunehmen war, gab es eine Ablehnung, und diese gleich doppelt: einerseits teilte ihm die Fremdenpolizei am 01.12.1941 mit, dass der Kanton Zürich nicht bereit sei, ihn auf Züricher Gebiet zu dulden. Andererseits erhielt er von der Zentralverwaltung der Arbeitslager am 12.12.1941 eine Ablehnung mit der Begründung, dass in sechs Monaten keine adäquate Ausbildung möglich sei.


Am 09.12.1941 wurde das Lager von Malvaglia nach Gordola, gleich angrenzend an Locarno, verlegt (einige Zeit nach dem Austritt von Max erfolgte dann am 01.02.1944 eine neuerliche Verlegung nach Bassecourt im Kanton Jura). Der offenbar liberal eingestellte neue Lagerleiter Max Frösch ließ politische Betätigung und auch die Kommunikation nach außen bis zu einem gewissen Grad zu, wodurch den kommunistischen Insassen ihre Bestrebungen weiter erleichtert wurden.

Den Lagerwechsel musste Max jedoch nicht mitmachen, er hatte von 08.12.1941 bis 14.12.1941 erneut Urlaub.

Seine Urlaube verbrachte Max oft in Zürich. Offenbar verscherzte er es sich dort jedoch mit einem Unterkunftgeber. Ein gewisser Herr Jakubowitsch verbot ihm ausdrücklich und schriftlich bei ihm Quartier zu nehmen.

Kaum aus dem Urlaub retour verletzte sich Max jedoch am 19.12.1941, ein Stein war ihm auf den Daumen gefallen.


Sonderlager Gordola

Max Günsberg beim Dammbau

Internierte des Lagers Gordola beim Dammbau


Kurz vor seinem Unfall war am 17.12.1941 wieder einmal ein Fragebogen bezüglich eines Umschulungskurses auszufüllen. Diesmal war das sogar mit einem psychologischen Eignungstest verbunden. Diese Untersuchung am 23.12.1941 ergab unter anderem ..."durchschnittliche Intelligenz"..."gutes Selbstvertrauen, etwas Selbstüberschätzung"..."ehrgeizig und strebsam, ziemliches Pflichtgefühl"...und ein "wenig impulsives Temperament" (das hat sich in späteren Jahren definitiv in Richtung Jähzorn geändert!). Jedenfalls wurde die Eignung zum Schreiner bestätigt.

Wie zu befürchten war, wurde seine Anmeldung zum Schreiner-Umschulungskurs am 29.01.1942 jedoch erneut abgelehnt bzw. zurückgestellt.



Das Verletzungspech blieb Max Günsberg treu - am 13.03.1942 verstauchte er sich das Fußgelenk und bekam in der Folge von 21.03.1942 bis 20.04.1942 Genesungsurlaub.

Max versuchte in dieser Zeit weiterhin und auf eigene Faust eine Lehrstelle zu finden. Die Metzgerei Kahn hatte jedoch laut einem Schreiben vom 25.03.1942 keinen Bedarf. Auch konnte die Flüchtlingshilfe St. Gallen ihm seine Bitte um Lehrstelle bei einem Kürschner nicht erfüllen.

Kaum genesen verletzte sich Max Günsberg am 16.05.1942 schon wieder, diesmal beim Heben eines schweren Gegenstandes. Der folgende Spitalsaufenthalt währte bis 20.06.1942.

Vom Spital aus versuchte er am 23.05.1942 nochmal eine Bewilligung für eine Ausbildung zum Metzger zu erhalten, er habe Erfahrung, die er bei seinem Vater Setyk/Selig/Sigmund Günsberg, der ja auch Metzger gewesen war, sammeln konnte. Falls dies nicht möglich sei, solle man sich doch bitte nochmals die Sache mit der Schreinerlehre überlegen.

Nachdem all seine Anstrengungen um eine Lehrausbildung nicht von Erfolg gekrönt waren, wandte er sich in einem Brief vom 04.05.1942 an seine oftmalige Kontaktperson beim VSIA, Frl. Boritzer, und ersuchte sie bei einigen Firmen in Zürich zu intervenieren, so unter anderem bei Artur Kulm, Zenderweg 8 und bei Eggli in der Kirschgasse. Ab 02.06.1942 erfolgten erneut etliche Versuche von Max und der Flüchtlingshilfe bezüglich einer Kürschner-Lehrstelle, die aber allesamt erfolglos blieben.


Max Günsberg hat öfters erzählt, irgendwann einen Hund besessen zu haben und von Rin Tin Tin sprach er ohnehin als Held seiner Kindheit. In seinen Jugendjahren in Wien deutet nichts auf einen Hund der Familie Günsberg hin, auf einem seiner wenigen Schweizer Fotos ist jedoch tatsächlich ein Schäferhund kommentarlos abgebildet. Die Perspektive des obenstehenden Fotos mit dem See (Lago Maggiore) und den Bergen im Hintergrund lässt auf eine Aufnahme im Lager Gordola schließen.


Und natürlich bemühte sich Max wieder um Auskunft aus Wien, er hatte wohl schon länger nichts mehr von dort gehört und die Nachrichten vom Oktober 1941 waren ja bereits deprimierend genug gewesen. Briefe wurden nicht mehr beantwortet und seit 12. Dezember 1941 durften Juden im deutschen Reich auch von öffentlichen Fernsprechern nicht mehr telefonieren, eigene Telefonanschlüsse waren ja schon lange zuvor gekündigt worden (Familie Günsberg hatte auch gar keinen). Daher stellte er eine Anfrage an das Deutsche Rote Kreuz. Auf diese bekam er am 22.08.1942 die Mitteilung wonach der Aufenthalt seiner Mutter Etti nicht bekannt sei. (sie wurde, ebenso wie seine Schwestern Rita und Herta, am 09.06.1942 in der Nähe von Maly Trostinec bei Minsk ermordet. Es war ihm allerdings zeitlebens nicht vergönnt das Schicksal seiner Lieben zu erfahren, er wusste lediglich von deren Deportation)

Am 28.08.1942 wandte sich Max mittels Brief zum wiederholten Mal an die Flüchtlingshilfe und ersuchte um Hilfe beim Finden einer Lehrstelle. Mittlerweile hatte er selbständig aber erfolglos sogar Lehrstellen als Coiffeur, Schneider und Elektro-Installateur gesucht. Ende Oktober 1942 wurde auch noch ein Gesuch um eine Schlosserlehre bei der Union-Kassenfabrik in Zürich, Albisriederstraße 257, abschlägig beschieden.

Am 13.09.1942 wurde die gesamte Lagerbelegschaft nach Les Ponts ins Schweizer Juragebirge transferiert um in einem Moor auf dem Gebirgskamm Drainagearbeiten auszuführen, die erst im November beendet werden konnten.


In dieser Zeit erkrankte Max an einer Gelbsucht und musste wieder einmal ins Spital, dabei entstand erstmals der „…Verdacht auf Lungenaffektion…“. Nach seiner Entlassung aus der Klinik musste er trotz dieses Verdachts dennoch wieder im Arbeitslager einrücken. Dass er in Locarno erkrankt war, kann man anhand eines Berichtes des Wieners Florian Kalbeck, der ebenfalls im Lager in Locarno und wie Max auch zur Erntearbeit eingeteilt war, gut nachvollziehen: 

„Es waren Maschinen, die das Getreide gedroschen haben, also nicht Bauern. Das war ein riesen Raum - wegen des Wetters waren die Maschinen unter Dach - und da war ein dichter grauer Nebel drinnen von dem Staub des Getreides. Die Leute sind der Reihe nach krank geworden. Das geht auf die Atemwege und Lungen. Tücher um den Mund haben nichts genützt. Da waren alle krank. Dann kam ein Doktor und der hat gesagt, das ist alles simuliert, das ist alles nicht wahr und dann ging er weg.“

Im Herbst 1942 ergab sich erneut eine Chance, vom Arbeitslager zu einer Berufsausbildung in einem Umschulungslager zu wechseln. Max hatte zu diesem Zweck am 15.10.1942 wieder einmal einen Fragebogen auszufüllen. In diesem wurde auch eine Beurteilung durch die Lagerleitung angeführt. Es sind dabei zwei Kommentare zu lesen, die unterschiedlicher kaum sein könnten: zum einen wurde "keine starke Natur, fast soviel im Krankenstand als auf Arbeitsplatz" konstatiert, zum anderen wurde er von jemand anderem als ..."freundlicher, zugänglicher und geschickter Mann"... mit vielen positiven Eigenschaften beschrieben und die Eignung für den Schneiderkurs als gut bezeichnet. Offenbar hatte er zur Lagerleitung je nach persönlicher Sympathie ein differenziertes Verhältnis. Dies kommt auch durch die auf diesem Fragebogen befindliche Frage zum Ausdruck, warum er trotz positivem Eignungstest im Dezember 1941 nicht schon damals berücksichtigt wurde.

Tatsächlich liest sich seine Krankenstands/Urlaubsliste während seiner Zeit in Locarno ja durchaus eindrucksvoll, wenn auch nicht so exzessiv wie oberhalb angeführt. Von seinen 21 Monaten im Lager Locarno entfielen fast sechs Monate auf Krankenstände und Urlaube.

Endlich, am 27.10.1942, wurden seine Bitten erhört und Max Günsbergs Name fand sich auf einer Liste, dem "Aufgebot zum Schneider-Umschulungskurs". und so durfte er am 01.11.1942, wahrscheinlich auch angesichts seines fraglichen Gesundheitszustandes, nach Zürich ins Umschulungslager Zürichhorn übersiedeln um dort eine Herrenschneiderlehre zu beginnen.