Baruch Günsberg

Verwandtschaft zu Max Günsberg: Sohn seines Großonkels Aron Günsberg
Bernhard/Baruch Günsberg wurde am 22.12.1889 in Schurawno/Zurawno, nahe Lwiw (Lemberg) in der heutigen Ukraine, damals (bis 1918) österreichisches Kronland Galizien, als Sohn von Aron Günsberg und Berta/Basia Lampert(Lempert) geboren und nach dem offenbar bereits zuvor verstorbenen Vater von Aron (Boruch Günsberg, *ca.1825) benannt.
Von 1907 bis 1910 bereiste er laut einem weiter unten angeführten Auswanderungsfragebogen (1938) Brasilien und Argentinien.

Im Jahr 1910 kam er offenbar wieder nach Europa und versah ab 1910 und daher auch während des ersten Weltkrieges von 1914-1918 Dienst in der österreichisch-ungarischen Armee.

Im Jahr 1914, also im Jahr des Beginns des ersten Weltkrieges, heiratete er in Zurawno Cilla Kirschbaum.

Bereits im ersten Kriegsjahr wurde er verwundet, wie der Eintrag in den "Nachrichten über Verwundete und Kranke" Nr. 24 vom 11.10.1914 bezeugt, der übrigens wie viele solcher Einträge vor Fehlern nur so strotzt (Vor- und Nachname vertauscht, Lambert statt Lempert, Zarawno statt Zurawno). Demnach diente er als Ersatz-Reservist im galizischen Infanterieregiment Nr. 9 "Graf Clerfayt", welches zu Beginn des Krieges in Przemysl und Stryj stationiert und an der Ostfront eingesetzt war. 

1914 wurde er mit seiner Verwundung in das Wiener Franz-Joseph-Spital (heutzutage Klinik Favoriten) im zehnten Bezirk eingeliefert. Sein späterer erster Wohnort als auch sein Arbeitsplatz in Wien sollten sich dann ebenfalls im zehnten Bezirk befinden. Nach dem Spitals-Aufenthalt kehrte er jedoch wieder nach Galizien zu seiner Frau Cilla zurück, da er bei späterer Gelegenheit angab, erst ab 1918 in Wien zu gewohnt zu haben. Zwischen 1914 und 1918 kam seine Frau offenbar entweder ums Leben gekommen oder das Paar ließ sich scheiden, da Baruch später in Wien wieder heiratete. Über Cillas Schicksal sind keine Belege vorhanden.

Einige Zeit nachdem Baruch 1918 in Wien sesshaft geworden war, sollten auch seine Cousins Setyk (Max Günsbergs Vater) und Rafael nach Wien folgen. 


Baruch wohnte um 1920 und mindestens bis 1924 in 1100 Wien, Favoritenstraße 147, und arbeitete als Fleischhauer ganz in der Nähe bei der Fleischerei von Frieda Spuller in 1100 Wien, Planetengasse 3.

[Exkurs: Frieda Spuller (geb. 04.02.1889 als Frieda Rath) stammte aus Kolomea, Galizien, und hatte am 09.07.1922 in Wien Josefstadt den Fleischhauer Emil Spuller geheiratet, die Ehe wurde 1930 allerdings wieder geschieden. Danach betrieb Emil Spuller eine Geflügelhandung und Frieda Spuller die angegebene Fleischerei in der Planetengasse. Im Jahr 1942 erlitt Frieda das gleiche Schicksal wie Baruchs Schwägerin Etti Günsberg und deren Töchter Herta und Rita, sie wurde eine Woche nach der Familie Günsberg am 15.06.1942 mit Transportnummer 26 nach Maly Trostinec in Weißrussland deportiert und dort ermordet. Ihr geschiedener Mann Emil starb tragischerweise noch nach der Befreiung aus einem KZ am 13.05.1945, als der Krieg bereits vorbei war, in einem DP Auffanglager für "displaced persons" in Wels.]


Kurzzeitig war Baruch auch bei seiner Schwester Rachela Günsberg-Schipper in 1020 Wien, Rote Kreuzgasse 3 gemeldet. Zu dieser Zeit, um 1923, lernte er seine spätere Frau Frieda/Freide/Freude Halpern (*26.02.1901 in Ponykowyzja, nahe Brody, Galizien/✡04.09.1967 in Wien) kennen. Da praktisch deren gesamte Familie aus der jüdischen Glaubensgemeinschaft ausgetreten war, trat auch Baruch am 01.01.1924 aus der IKG (israelitische Kultusgemeinde) aus und bezeichnete sich forthin als Bernhard Günsberg, was ihn später jedoch nicht vor der rassistischen Verfolgung bewahren sollte. Am 21.06.1924 heiratete er dann konfessionslos seine Frieda.

Baruch/Bernhard machte sich daraufhin offenbar selbständig und betrieb seine erste eigene Fleischerei in 1090 Wien, Schulz-Straßnitzki-Gasse 12, bei Friedas Eltern.


Aber schon zwei Jahre später erfolgte mit der bereits hochschwangeren Frieda am 02.02.1926 der Umzug in eine damals brandneue Gemeindewohnung der Stadt Wien in 1140 Wien, Linzer Straße 128/Stiege 6 Tür 3 (Hochparterre; Zimmer-Küche-Kabinett-Vorraum). Dieser Gemeindebau war ein Vorzeigeobjekt der Gemeinde Wien, geplant vom berühmten Architekten Clemens Holzmeister.

Linzerstraße 128 im Jahr 1927

1140 Wien, Linzerstraße 128 im Jahr 1927, Archiv Seemann [Klick] für Bild in voller Auflösung


Wie auf dem untenstehenden Bild an der Aufschrift zu erkennen, verlegte Baruch auch seine Geschäftstätigkeit in diesen Gemeindebau und eröffnete hier seine Fleischerei. Das Geschäft ist auch am vorhergehenden Bild an der rechten Ecke zu sehen. Seltsamerweise ist das Geschäft jedoch in keinem Adressbuch dieser Zeit verzeichnet.


Fleischerei von Baruch/Bernhard Günsberg in 1140 Wien, Linzerstraße 128


Am 07.04.1926 bekamen Baruch und Frieda einen Sohn namens Erich, und auch die Geburt der Sohnes erfolgte konfessionslos, daher wurde die Eintragung in den jüdischen Matriken wieder gelöscht.


Im Juli 1928 versuchte Baruch die Fleischerei wieder zu verkaufen. Ob und welche Gastwirtschaft Baruch danach übernahm war nicht zu eruieren.

Annonce im Neuen Wiener Tagblatt vom 01.07.1928, Seite 44

Etwa 1929 wurde das Geschäft von Johann Bürgmann (Herr mit weißer Schürze, daneben seine Familie) betrieben. Rechts von ihm ist möglicherweise sein Vorgänger Baruch Günsberg abgebildet (mit weißem Mantel). Demnach könnte rechts neben Baruch seine Frau Frieda und/oder seine Schwester Rachela stehen.

Fotoverwendung mit freundlicher Genehmigung von Peter Bürgmann, dem Enkel von Johann Bürgmann. [Klick] für größeres Bild.


Nicht lange danach, am 21.11.1929, ließen sich Baruch und Frieda wieder scheiden, Baruch zog aus der gemeinsamen Wohnung aus zunächst an die Adresse 1150 Wien, Rustengasse 2/19 und später nach 1090 Wien, Halmgasse 24/7. Das Kind verblieb bei der Mutter und Baruch Günsberg verpflichtete sich zur Zahlung von Alimenten. Als Grund für die Scheidung gab Frieda die Untreue ihres Gatten an.


Kurz nach der Scheidung von Frieda im Jahr 1929 wurde Baruch Günsberg als Vertreter tätig und verdiente daran offenbar sehr gut. Frieda gab später an, dass er in dieser Zeit freiwillig höhere Alimentationszahlungen leistete. Im Jahr 1938 gab er diese Vertretereigenschaft in einem Auswanderungsfragebogen jedoch nicht an. Möglicherweise handelte es sich dabei also um keine ganz legale Tätigkeit.

1931 brachte Baruch es als Verletzter bei einem schweren Straßenbahnunfall in Favoriten am 29.05.1931 zu einer Erwähnung in der „Neuen Illustrierten Krone“. Dem Zeitungsartikel gemäß wohnte er zu diesem Zeitpunkt in 1200 Wien, Heinzelmanngasse 18. Offenbar hielt es ihn nirgends sehr lange.

Von 1936 bis 1938 war er bei der Siemens AG Floridsdorf, 1210 Wien, angestellt, bevor ihn 1938 das Schicksal aller Wiener Juden ereilte und er seinen Job verlor. Offenbar half ihm dann noch ein entfernter Verwandter, Wilhelm Krumholz, der nach dem ersten Rigorosum seines Medizin-Studiums bereits in der allgemeinen Wiener Poliklinik arbeitete, oder Baruchs geschiedene Frau Freude, die ja ebenfalls hier ihre Ausbildung absolviert hatte. Einer von beiden verschaffte Baruch wohl die Möglichkeit, in der Klinik eine Ausbildung zum Masseur zu machen. Auch Wilhelm Krumholz selbst hatte ja ebenfalls hier die Ausbildung zum Masseur gemacht und war genauso wie Baruchs mittlerweile geschiedene Frau Freude in der Hydrotherapie unter Professor Alois Strasser tätig.


Auswanderungswillige Juden sollten 1938 Fragebögen ausfüllen, auf denen unter anderem ausländische Verwandte und Bekannte anzugeben waren. Baruch Günsberg gab am 15.06.1938 seine Cousine namens Anne Schmier, wohnhaft in 2518 W.Vis.av. in Milwaukee (Wisonsin, USA) sowie seinen Cousin namens Albert Schmier, wohnhaft in 2924 W. Mt. Vernon av., ebenfalls in Milwaukee, an. Die Familie Schmier ist auf der Seite von Baruchs Schwester Rachela Lempert false Günsberg beschrieben.


Neben unzähligen anderen Schikanen mussten Juden ab 01.01.1939 gemäß einer Namensänderungsverordnung einen Vornamen annehmen, der ihre jüdische Herkunft ersichtlich machte. So erklärt sich der Zusatzname Israel, den Baruch ab diesem Zeitpunkt tragen musste. Bis 18.03.1939 lebte er in 1090 Wien, Halmgasse 24, Stiege 1, Tür 7. Danach wohnte er bis 09.06.1939 in 1020 Wien, Praterstraße 9/6.

Baruchs letzte Adresse war eine Sammelwohnung in Wien im zweiten Bezirk, Rembrandtstraße, zuerst 2/6, dann 14/8. Er wurde am 27.08.1942 ins Ghetto Terezin (Theresienstadt) deportiert, erkrankte dort an Tuberkulose und starb schließlich am 11.08.1943 nach einem Selbstmordversuch, bei dem er versucht hatte seine Halsschlagader zu durchtrennen. Bereits am 09.07.1943 war der staatlich legitimierte Raub seines noch verbliebenen Vermögens gemäß Einziehungserkenntnis im berüchtigten „Völkischen Beobachter“ verlautbart worden.



Frieda Günsberg, geschiedene Frau von Baruch Günsberg

Baruchs Frau wurde als Freide/Freude/Frieda Heilpern/Halpern am 26.02.1901 in Ponykowyzja, nahe Brody, Galizien, als Tochter des Kohlenhändlers Jakob Heilpern (*1866/1942 nach Teheresienstadt deportiert und anschließend in Treblinka ermordet) und Ettel/Elisabeth Heilpern, geborene Lenczner/Lentschner (✡1917 in Wien) geboren.  Während der großen Migrationswelle zwischen 1910 und 1920 kam auch diese Familie im Jahr 1916 von Galizien nach Wien.

Zunächst als Schneiderin tätig, absolvierte Frieda nach 1924 auf der allgemeinen Poliklinik (Prof. Strasser, 2. medizinische Abteilung) eine Ausbildung zur Masseurin und Bademeisterin für Hydrotherapie. Auch ihr geschiedener Mann Baruch und Wilhelm Krumholz machten bei Professor Alois Strasser Jahre später eine entsprechende Ausbildung. Wer aber durch wen an diese Abteilung kam lässt sich nicht nachvollziehen. Professor Strasser fungierte als ärztlicher Leiter in der Winternitz`schen Kuranstalt in Kaltenleutgeben, wo die Hydrotherapie bereits jahrzehntelang angewendet wurde. Es ist daher anzunehmen, dass Frieda Günsberg ebenso wie Baruch und Willi Krumholz in Kaltenleutgeben beschäftigt waren.  

Bei allen Einträgen der Familie Halpern/Heilpern ist ersichtlich, dass viele Mitglieder dieser Familie aus der jüdischen Glaubensgemeinschaft ausgetreten waren. Am 21.06.1924 heiratete Frieda Heilpern daher konfessionslos Baruch Günsberg. Sie bekamen am 07.04.1926 einen Sohn namens Erich, und auch die Geburt der Sohnes Erich erfolgte konfessionslos, daher wurde die Eintragung in den jüdischen Matriken wieder gelöscht.

Bis kurz vor Erichs Geburt lebte das Paar in 1090 Wien, Schulz-Straßnitzki-Gasse 12, bei Friedas Eltern. Am 02.02.1926 erfolgte der Umzug in eine damals brandneue Gemeindewohnung der Stadt Wien in 1140 Wien, Linzer Straße 128/Stiege 6 Tür 3 (Hochparterre). Diese mittlerweile denkmalgeschützte Wohnhausanlage wurde 1948 als "Blathof" (nach Ferdinand Blat, im Bürgerkrieg 1934 gefallen) benannt.

Im April 1927 trat Frieda der sozialistischen Partei Österreichs bei und betätigte sich offenbar aktiv für diese. Als die Partei im österreichischen Ständestaat 1934 ebenso wie die nationalsozialistische Partei verboten wurde, gestaltete sich diese Aktivität wohl durchaus schwierig.

Am 21.11.1929 ließen sich Baruch und Frieda wieder scheiden, Baruch zog aus der gemeinsamen Wohnung aus zunächst an die Adresse 1150 Wien, Rustengasse 2/19 und später nach 1090 Wien, Halmgasse 24/7. Das Kind verblieb bei der Mutter und Baruch Günsberg verpflichtete sich zur Zahlung von Alimenten. Grund für die Scheidung war laut Frieda die Untreue ihres Gatten. Kurz nach der Scheidung wurde Baruch Günsberg als Vertreter tätig und verdiente daran offenbar sehr gut. Frieda gab später an, dass er in dieser Zeit freiwillig höhere Alimentationszahlungen leistete und sie daher keiner Arbeit nachgehen musste.

Frieda bewohnte zu dieser Zeit weiterhin die Gemeindewohnung in der Linzer Straße 128 und war eng mit ihrer Familie verbunden.

  • Die Mutter Ettel Heilpern war bereits 1915 verstorben. Der Vater Jakob Heilpern (*1866) wurde am am 13. August 1942 ins Konzentrationslager Theresienstadt (Terecin) deportiert. Am 26. Septemer 1942 erfolgte eine neuerliche Deportation ins Vernichtungslager Treblinka, wo er ermordet wurde.
  • Schwester Laura/Lea Heilpern (1896-1989) war von Beruf Strickerin mit einem eigenen Wirkwaren-Geschäft in 1090 Wien, Strudlhofgasse 12. Sie wohnte zunächst bei ihrem Bruder Max in der Hütteldorferstraße 183 und später bei Frieda im Blathof. Sie blieb zeitlebens ledig und überlebte den Krieg in England, kehrte später aber wieder nach Wien zurück.
  • Bruder Max/Michel Heilpern (1899-1979) betrieb einen Schuhhandel in 1150 Wien, Märzstraße 52 und wohnte in der Hütteldorferstraße 183. Er war von 1924 bis 1935 mit Josefine, geborene Rosenfeld (1901-1989), verheiratet, hatte jedoch keine Kinder. Nach einer Auswanderung 1939 nach Riga in Lettland und einer folgenden Internierung in Novosibirsk und später in Karaganda (Kasachstan) kam er 1947 wieder nach Wien zurück. 
  • Bruder Julius/Joel Heilpern (1907-1968) war von Beruf Kürschner und betrieb mit seiner katholischen Frau Maria, geborene Bschließmayer (1911-1991), ein Geschäft in 1080 Wien, Lederergasse 21. Auch dieses Paar emigrierte nach Riga in Lettland und heiratete dort 1940, kam dann in sowjetische Gefangenschaft in Novosibirsk und später in Karaganda (Kasachstan) um nach dem Krieg wieder nach Wien zurückzukehren. Das Pelzgeschäft wurde kurz nach dem Krieg restituiert und auch wieder betrieben. Es sind keine Kinder dieses Paares bekannt.
  • Im Horrorjahr 1938 lebte dann auch noch ein aus Leipzig stammender Cousin namens Adolf/Abraham Heilpern (*1875) bei Frieda in der winzigen Wohnung im Blathof. Er kam 1943 im KZ Theresienstadt ums Leben.

Am 15.06.1938 musste Frieda einen Auswanderungsfragebogen ausfüllen. Aus diesem und anderen Unterlagen geht hervor, dass Familie Halpern/Heilpern starke familiäre Bande nach England besaß.


Der 10.09.1938 sollte eine Zäsur für Frieda und ihre Schwester Laura darstellen. Nachdem Frieda offenbar durch unliebsame Zeitgenossen als Sozialistin denunziert worden war, erschienen frühmorgens unangekündigt zwei Gestapo-Beamte in der Wohnung in der Linzer Straße 128. Als Jüdin und Sozialistin stellte sie für das NS-Regime wohl ein doppeltes Feindbild dar. Da trotz intensiver Suche kein sozialistisches Propagandamaterial zu finden war verlegten sich die beiden Beamten auf eine intensive und lautstarke Befragung der Schwestern, die schließlich in schweren Misshandlungen, Schlägen und Tritten in den Unterleib gipfelte, bis sich Frieda nicht mehr rührte.


Kurze Zeit später wurde Friedas Mietvertrag von Seiten der Stadt Wien aufgekündigt. Sie hatte die Wohnung bis spätestens 12.1.1939 zu räumen.


Dies alles gab den Ausschlag für eine Auswanderung nach England. Am 04.11.1938, also noch vor der berüchtigten Pogromnacht des 09.11.1938, kam Frieda schließlich, mutmaßlich mit ihrem Sohn Erich, jedenfalls aber gemeinsam mit ihrer Schwester Laura (Sara) in England an, wo sie zunächst laut einer Volkszählungseintragung vom 29.09.1939 bei einer Familie Wang in London, 84 Princes Park Avenue, als Haushaltshilfe arbeitete. Im selben Haushalt war zu diesem Zeitpunkt auch ihre Schwester Laura (Sara) Heilpern beschäftigt. Schon seit Beginn der 1930er Jahre stellten österreichische Jüdinnen in England die größte Gruppe an "domestics", also Hausmädchen, und nach 1938 war dies eine der wenigen verbliebenen Möglichkeiten zur Flucht aus Nazi-Deutschland, wenn auch meist nur noch mit einem gewissen Maß an Protektion (siehe [hier]). Mit Kriegsbeginn am 01.09.1939 (Überfall Deutschlands auf Polen) nahmen die Ressentiments gegenüber allen Immigranten, ganz unabhängig vom Einwanderungs- oder Fluchtgrund, immer mehr zu. Schon bald nach Kriegsbeginn hatten aus diesem Grund bereits etwa 8.000 ausländische Dienstmädchen ihren Job verloren und wurden wie alle anderen als "enemy aliens", also feindliche Ausländer, angesehen. Auch Frieda verlor offenbar ihre Anstellung bei Familie Wang, dürfte anschließend jedoch bald eine neue Stelle gefunden haben. Laut einem weiteren Eintrag vom 21.12.1939 war sie zu diesem Zeitpunkt als anerkannter Flüchtling von einer Internierung in einem Flüchtlingscamp ausgenommen und als Haushaltshilfe bei einer Mrs. Melzer ebenfalls in London, Canfield Gardens 97, tätig.

Ihre erste eigene Adresse wurde ab Dezember 1941 die Colney Hatch Lane in London, wo auch ihr Sohn Erich/Eric wohnte. Zuvor kam sie mit dem Gesetz in Konflikt, als sie die zu diesem Zeitpunkt aufgrund der deutschen Luftangriffe ("Luftschlacht um England" von Sommer 1940 bis Anfang 1941) verhängte Ausgangssperre missachtete. Am 08.12.1941 wurde über sie dafür in Marylebone (London) eine Strafe verfügt.

 Am 09.04.1949 wurde Frieda Günsberg englische Staatsbürgerin. Sie dürfte nicht wieder geheiratet haben, da sie in einem englischen Wählerregister von 1953 und auch 1956 nach wie vor als Frieda Günsberg aufscheint.


Im Jahr 1955 erhielt Österreich durch den Staatsvertrag seine Souveränität wieder. Eine Bedingung dieses Vertrages bestand in der Entschädigung von Opfern des Nationalsozialismus, die nicht mehr nach Österreich heimgekehrt waren. Die zu diesem Zeitpunkt bereits heimgekehrten Personen wurden diesbezüglich hingegen bereits durch das Opferfürsorgegesetz von 1947 berücksichtigt, wie dies zum Beispiel bei Max Günsberg der Fall war.

In Ausübung der durch den Staatsvertrag auferlegten Verpflichtung wurde, nach Verhandlungen des Claims Committee mit der österreichischen Bundesregierung, vom österreichischen Nationalrat am 18.01.1956 der "Fonds zur Hilfeleistung an politisch Verfolgte, die ihren Wohnsitz und ständigen Aufenthalt im Ausland haben" beschlossen. Die Begünstigten sollten je nach Schwere der Verfolgung oder des gesundheitlichen Schadens mit einer einmaligen Zuerkennung zwischen ÖS 5.000,00 und ÖS 30.000,00 entschädigt werden.

Die Halbherzigkeit dieser Regelung zeigt sich unter anderem an der Bedingung, dass ein Antrag für diese Entschädigung innerhalb eines Jahres ab Erlass des Gesetzes gestellt werden musste. Viele Geflüchtete hatten selbstverständlich keine Kenntnis von in Österreich neu erlassenen Gesetzen und wurden so ihrer Ansprüche verlustig.

Frieda stellte zeitgerecht am 12.11.1956 ihren Antrag. Sie machte dabei vor allem ihre schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen als Folge der Misshandlungen durch die Gestapo-Beamten am 10.09.1938 sowie ihre unverschuldete Mittellosigkeit, die durch die Verschleppung und Ermordung ihres geschiedenen Mannes Baruch eingetreten war, der ja für sie und den kleinen Sohn Erich gesorgt hatte, geltend. Im Speziellen machte sie die Misshandlungen für innere Blutungen, die eine doppelseitige chronische schwere Nierenentzündung ausgelöst hätten, verantwortlich. Ebenso wäre die Hautkrankheit Psoriasis Folge eines dadurch verursachten Nervenleidens. 

Die Zuerkennungskommission folgte jedoch nicht Friedas Argumenten, ein Zusammenhang zwischen den Misshandlungen und ihrem Gesundheitszustand sei nicht nachweisbar. Bei der im Zuge des Verfahrens erfolgten ärztlichen Beurteilung wurde jedoch eine fast vollständige Erwerbsunfähigkeit festgestellt. Daher wurde sie in die Entschädigungsgruppe M gereiht. Frieda erhielt daraufhin lediglich die Mindestsumme von ÖS 5.000,00.

[Ihr entfernter Verwandter Karl Engler hatte dabei mehr Glück. Der in die Schweiz geflüchtete Karl erhielt, möglicherweise durch seine guten Beziehungen, die Höchstdotation von ÖS 30.000,00]


Frieda Günsberg wohnte seit den 1950ern bis zu ihrem Tod in Muswell Hill, London. Zuerst an der Adresse 10 Church Crescent, später zumindest kuzzeitig ganz in der Nähe, in der 36 Queens Avenue. Sie starb am 04.09.1967 in einer Klinik in Wien (Fango-Heilanstalt in 1090 Wien, Lazarettgasse 20). Seltsamerweise sind in ihren Sterbeunterlagen weder Geschwister noch Kinder vermerkt. Lediglich eine Schwägerin namens Maria Heilpern (1080 Wien, Alserstraße 21), die möglicherweise die Frau von Julius Halpern war, ist angeführt. Friedas Urne wurde am 08.09.1967 am Wiener Zentralfriedhof beigesetzt. Im selben Grab liegen ihre Schwester Leopoldine/Dine Adler geb. Heilpern (*08.04.1904/✡19.04.1931), ihr BruderJulius Heilpern (*28.04.1907 in Pomokowica/✡16.10.1968) sowie Sara Laura/Lea Heilpern (*01.08.1896/bestattet 28.11.1989) begraben. Friedas Schwester Laura war ebenfalls englische Staatsbürgerin geworden, legte diese jedoch 1981 zurück und wurde wieder Österreicherin.

Als Erbe von Frieda Günsberg ist ein Maschinenbauer namens Eric Garfield angegeben. Dabei handelt es sich um ihren Sohn Erich, der in England einen neuen Namen angenommen hatte.



Erich Günsberg, der Sohn von Baruch und Frieda

Erich Günsberg wurde am 07.04.1926 in Wien als Sohn von Baruch und Frieda Günsberg geboren. Die Geburt erfolgte konfessionslos, daher wurde die Eintragung in den jüdischen Matriken wieder gelöscht.

Es ließ sich bislang nicht genau eruieren, wann oder auf welche Weise Erich Günsberg aus Wien fliehen konnte, jedenfalls aber spätestens 1939 und wahrscheinlich gemeinsam mit seiner Mutter Frieda. Als Halbwüchsiger kam er in die 1920 ursprünglich für jüdische Buben gegründete Park House School. Diese vormalige Besserungsanstalt für straffällig gewordene oder schlecht sozialisierte Minderjährige war 1933 in eine Jugend-Wohlfahrtseinrichtung entsprechend dem "Children and Young Persons Act" umgewandelt worden. Am 29.07.1943 wurde er von den englischen Behörden als Flüchtling registriert und klassifiziert. Zunächst als Flüchtling der Klasse "B" (Personen, die in Freiheit gelassen wurden, aber unter der Ausländerverordnung von 1920, Art. 20 Abs. 2 bestimmten Beschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen waren) und später, am 23.06.1944, Klasse "C" (Fremde,die von allen Beschränkungen, außer den für alle Fremden geltenden, befreit waren).

Am 03.11.1947 wurde Erich englischer Staatsbürger und nutzte diese Gelegenheit, um seinen neuen Namen "Eric Garfield" anzunehmen. Zuvor während des zweiten Weltkrieges, also bis 1945, war in GB eine Namensänderung ausländischen Staatsbürgern verboten. Wann er seinen zweiten Vornamen "John" annahm, ist hingegen nicht bekannt. Eine Namensänderung war durchaus nicht ungewöhnlich. Bereits im 19. Jahrhundert bedienten sich oftmals vornehmlich männliche Zweitgeborene dieser Praxis, um der Konskription, also der Einberufung zum Militärdienst, zu entgehen. Aber auch um antisemitisch motivierte Anfeindungen zu vermeiden, wurde diese Vorgangsweise gewählt.

Am 29.06.1944 trat er als Freiwilliger in die britische Armee ein und diente im R.A.S.C. (Royal Army Service Corps) mit der Dienstnummer T/14448411. Vom 29.06.1944 bis 28.05.1946 war er abwechselnd im In- und Ausland eingesetzt, in Summe für einige Monate im vereinigten Königreich, unter anderem in einem Flüchtlingscamp, welches speziell für italienische Flüchtlinge bestimmt war, deren nationalsozialistische Gesinnung man testen wollte. Während der restlichen Zeit diente er im Ausland, und zwar in Frankreich, Belgien, Holland, Deutschland, Ägypten, Palästina, Transjordanien und Syrien. Das "T" in seiner Dienstnummer weist auf den Begriff "Transport" hin. Er dürfte demnach einer Nachschub-Einheit RHU (Reinforcement Holding Unit) der BLA (British Liberation Army) angehört haben. Am 01.09.1947 zeichnete er als nach wie vor Aktiver im Rang eines Staff Sergeant. Laut seiner Dienstbeschreibung sprach er fließend deutsch (sic!) und flämisch.

Bis 1950 wohnte er an der Adresse 10 Church Crescent, Muswell Hill, London. Also genau in derselben Wohnung, wo danach seine Mutter Frieda wohnhaft war.

Erich/Eric war offensichtlich umtriebig und dem entsprechend oft verheiratet. Seine erste Ehe mit Beryl Iris Garfield ging er 1957 ein, diese wurde allerdings bereits am 22.08.1958 geschieden. Am 23.08.1962 heiratete Eric zum zweiten mal, diesmal eine deutsche Staatsbürgerin namens Irma M. Sommerkamp. Aber auch diese Ehe sollte nicht lange halten und wurde wieder geschieden.

Nachdem seine Mutter 1967 in Wien gestorben war (siehe oberhalb) begann er offenbar ein völlig neues Leben. Im Jahr 1969 lernte er in London Yvonne Brecher kennen. Die beiden heirateten in London im September 1971 und bekamen die Kinder Scott Kennedy (*Mai 1971) und Tracy Joanne (*Mai 1972). Im Jahr 1975 ließen sich Eric und Yvonne wieder scheiden. Weder seiner Frau noch seinen Kindern erzählte er jemals von seiner wahren Herkunft. Als seinen Herkunftsort gab er Toronto und als den Namen seines Vaters "Bernard" Garfield an (also zumindest ein Funken Wahrheit). Seine Mutter sei bereits gestorben, als er erst 18 Jahre alt war (also 1944 statt richtig 1967). Als strenger Agnostiker führte er nicht einmal seine geliebte Tochter Tracy, die ihm laut deren Auskunft sehr nahe stand, in der Kirche zum Traualtar, dies musste stattdessen ihr Bruder Scott übernehmen. 

Eric heiratete erneut im Juli 1981 Anna Maria Burke Masters (*1946) und sie bekamen zwei Töchter namens Kelly (*1982) und Lisa (*1984). Irgendwann vor 1994 besaßen Erich und Anna einen in Florida (Key Biscayne) ausgestellten US amerikanischen Führerschein, beim entsprechenden Eintrag ist jedoch kein Datum angegeben. Auch diese Familie ließ er nichts über seine wahre Herkunft wissen.

Bezüglich seines eisernen Schweigens über die Vergangenheit lassen sich lediglich Vermutungen anstellen. Möglicherweise hatte er als Halbwüchsiger vom Schicksal seines Vaters Kenntnis und wurde dadurch so traumatisiert, dass er sein Schweigen darüber und seine vorgetäuschte Identität bis an sein Lebensende aufrechterhielt. Seine Familie(n) war(en) jedenfalls mehr als überrascht, als ich sie mit seinen wahren früheren Lebensumständen konfrontierte.

Erich Günsberg /John Eric Garfield wohnte bis zu seinem Tod im Jahr 2004 mit seiner Familie (Kelly, Lisa, Anna) in London und starb am 24.05.2004. Seine Frau Anna Maria und die Töchter Kelly und Lisa sind 2022 nach wie vor in London ansässig, ebenso wie seine Ex-Frau Yvonne und deren Kinder Scott und Tracy samt Familien.


Der Name von Baruch Günsberg ist auf der Shoa Gedenkmauer in Wien eingraviert.
Namensmauern Wien Günsberg