Fani/Fanny Engler wurde am 01.10.1891 in Walawa im Gerichtsbezirk Kotzmann im damals (bis 1918) österreichischen Kronland Bukowina als Tochter von Isaak und Klara Engler geboren. Der Ort heisst heutzutage Valyava und liegt in der Ukraine rund 20km nördlich von Czernowitz.
Vor 1910 übersiedelte Fani mit ihren Eltern und Geschwistern nach Czernowitz und lebte dort in der Franzosgasse 10 (heute Ivana Bohuna, 20) bis 1914.
Fani lernte in Czernowitz Josef Krumholz (*26.01.1890 in Czernowitz), dessen Familie [hier] beschrieben ist, kennen und formvollendet gratulierte Josef seiner Angebeteten am 01.10.1910 zum neunzehnten Geburtstag:
Sie bekamen in Wien die zwei Söhne Wilhelm (*20.08.1915) und Robert (*06.11.1920). Wilhelm wurde übrigens von der selben Hebamme (Stefanie Heimer (*1881/✡1929) aus der Löwengasse 6) entbunden wie Max Günsberg einige Jahre später. Fani ist ihrer Mutter Klara wie aus dem Gesicht geschnitten. Josef diente im ersten Weltkrieg von August 1915 bis zum Kriegsende im November 1918 in der K.u.K Armee.
Fani wohnte während des Krieges mit dem 1915 geborenen Willi im Haus der Familie in 1030 Wien, Radetzkystraße 10. Aus Platzmangel jedoch nicht bei ihren Eltern Isaak und Klara im 2. Stock in der Wohnung Nummer 14, sondern bei Klaras Schwägerin Pessi Engler, Max´ Großmutter, in der Wohnung Nummer 5 im ersten Stock (Pessi war mit ihren Kindern 1916 nach Wien gekommen und lebte ab 1917 in dieser Wohnung). Als Josef nach dem Krieg heimkehrte, zogen sie 1919 in eine eigene Wohnung im dritten Bezirk in der Hetzgasse 11.
Josef begann seine berufliche Laufbahn von November 1914 bis Juli 2015 bei der Schuhhandels-Firma DELKA, die auch heute (2021) noch besteht. Anschließend wurde Josef Krumholz einberufen, musste seinen Job aufgeben, seine hochschwangere Frau Fani alleine in Wien zurücklassen und bis zum Ende des ersten Weltkrieges im November 1918 Kriegsdienst verrichten. Wilhelm Krumholz lernte seinen Papa daher erst als Dreijähriger kennen. Nach dem Krieg machte sich Josef selbständig und gründete am 19.10.1920 mit zwei Teilhabern eine Handelsgesellschaft in 1010 Wien, Bäckerstraße 8. Bereits 1922 residierte die Firma an einer neuen Adresse in 1010 Wien, Hafnersteig 6 (an der Rückseite dieses Hauses befand sich das berühmte „Griechenbeisl“, in dem schon der „liebe Augustin“ Gast war). Am 04.04.1923 stieg auch Fanis Bruder Salomon Engler als Gesellschafter in die Firma ein. Nach und nach traten die übrigen Gesellschafter jedoch wieder aus, Josef Krumholz blieb als einziger übrig. Im Jahr 1926 entstand daraus ein Spielwarengeschäft namens „Nürnberger Spielwaren“, welches dann Fani führte.
Josef überstand wirtschaftlich 1930 einen Ausgleich samt Anschluss-Konkurs nicht, die Firma wurde 1931 aus dem Firmenbuch gelöscht. Er teilte damit das wirtschaftliche Schicksal etlicher anderer Familienmitglieder und unzähliger anderer Gewerbetreibender.
Fani führte das Geschäft unter ihrem Namen offenbar weiter. Sie scheint in einem Branchenverzeichnis im Jahr 1934 nach wie vor auf.
Josef arbeitete danach ab 02.03.1931 als Geschäftsführer im „Schuhpalast Hermes“, einem Schuhhandel mit fünf Standorten in Wien, gemeinsam mit dem weiter unten genannten Alfred Engler, seinem Schwager, der dort schon seit vielen Jahren arbeitete, mittlerweisle in leitender Position tätig war und Josef wohl den Eintritt in die Firma erst ermöglichte. Die „Hermes“ F. Hulles Schuhverkaufs GmbH gründete ihren großen Erfolg auf dem Verkauf sogenannter B-Ware und war in Wien bei Schuhen so etwas wie die Firma Rothberger für Kleidung. Möglicherweise bekam Max Günsberg seine Lehrstelle beim Kleiderhaus Rothberger später über diese Verbindung.
Bereits kurz nach der nationalsozialistischen Machtübernahme (12.03.1938) verlor Josef Krumholz seinen Job am 18.03.1938. Das Schuhhaus Hermes eignete sich im Juni 1938 ein gewisser, bis dahin als Werbeleiter angestellter, Alfred Proksch, der als glühender Nationalsozialist galt, im Zuge der „Arisierung“ als kommissarischer Verwalter an und besaß diese Firma auch noch nach 1945. Nach Wilhelm Krumholz` Erzählung erschien besagter Alfred Proksch kurz nach der nationalsozialistischen Machtergreifung in der Wohnung der Familie Krumholz in der Hetzgasse 11 in Begleitung zweier SA-Leute. Josef Krumholz, der bis dahin sein Chef gewesen war, blieb ganz ruhig sitzen und zeigte keine Angst. Davon scheinbar beeindruckt begnügte sich Alfred Proksch mit der Beschlagnahme eines Radioapparates und ließ die Familie ansonsten, zumindest vorläufig, unbehelligt.
Am 11.05.1938 füllte Josef Krumholz einen Auswanderungsfragebogen aus und gab dort als ausländische Verwandte eine Schwester namens Regina Teffner in Argentinien an. Das müsste demnach seine am 01.09.1884 geborene Schwester Ruchel gewesen sein. Weiters gab er einen Cousin W.H. Wannowsky in Pasadena, CA, an, der laut Census von 1930 mit seiner Familie in Pasadena lebte. Schließlich gab Josef noch eine Cousine namens Rekie Bender aus Niagara Falls, NY, an. Dieser Name findet sich bei der Sozialversicherung in Form einer Beatrice Bender, deren Eltern Regina Teffner (siehe oberhalb) und Benjamin Bender hießen.
Fanis Sohn Wilhelm konnte 1938 in die Schweiz flüchten (siehe unterhalb).
Die übrige Familie Krumholz, also Fani, Josef und Robert, verlor ihre Wohnung am 01.04.1939. Fanis Sohn Robert, der sich als Praktikant verdingte, kam in Moosbrunn 9 unter (Moosbrunn gehörte damals zum 23. Gemeindebezirk von Groß-Wien), Fani und Josef zogen vorerst zu Fanis Cousine Dora Fuchs wieder in die Wohnung der Englers, in die Radetzkystraße 10/14, wo bis 1938 ihre Mutter Klara gewohnt hatte. Josef musste zu dieser Zeit Zwangsarbeit beim Straßenbau in Korneuburg verrichten. Robert kam am 03.11.1939 in die Radetzkystraße 10 nach. Bereits am 30.11.1939 erfolgte jedoch die Beschlagnahme auch dieser Wohnung und sie mussten in eine Sammelwohnung in 1020 Wien, Praterstraße 26/25 umziehen und kurze Zeit später, am 14.01.1940 in eine andere Sammelwohnung in 1020 Wien, Rotensterngasse 23/8 (gemeinsam mit der Familie ihrer Schwester Dora Fuchs).
Über das Schicksal von Fani, Josef und Robert existieren zwei Versionen. Die offizielle berichtet davon, dass Familie Krumholz am 04.08.1941 von ihrer Wohnung in Wien 3, Hetzgasse 11, nach Daruvar (Kroatien) deportiert worden sei. Josef Krumholz wäre von dort weiter nach Jasenovac überstellt worden, wo er starb. Fani Krumholz wäre zunächst nach Loborgrad gebracht und von dort weiter nach Auschwitz (Oswiecim/Polen) überstellt worden, wo sie ermordet wurde. Auch Robert sei auf unbestimmte Weise ermordet worden, es existieren darüber aber keine Belege.
Wilhelm Krumholz berichtete kurz vor seinem Tod hingegen folgendes: Familie Krumholz beschloss getrennt die Flucht aus Wien zu versuchen, der Abmeldevermerk datiert vom 05.02.1940. Fani versteckte sich in einem Zugs-Abteil, Josef wollte zu Fuß über die Karpaten gehen, Robert mit einem illegalen Flüchtlingstransport auf einem Donauschiff nach Palästina. Die Flucht von Josef, Fani und Robert war jedoch nicht erfolgreich und sie trafen sich in Zagreb wieder. Von der kroatischen Ustascha wurden sie an die Nazis ausgeliefert. Jahre nach dem Krieg erhielt Wilhelm Krumholz einen Brief einer Frau Heller aus Klagenfurt, Österreich. Sie wäre mit Fani im selben Lager gewesen und könne deren Schicksal und das ihres Mannes und Sohnes bezeugen. Demnach wurden Josef und Robert nach Ausschwitz deportiert und kamen dort ums Leben. Fani wurde in einem vorgeblichen Sanitätswagen mit einem aufgemalten roten Kreuz mittels Auspuffgasen erstickt, sie kam daher erst gar nicht bis nach Auschwitz. Das deckt sich mit anderen Angaben, gemäß derer zwischen März und Juni 1942 7.500 Juden, Roma und Sinti aus dem seinerzeit auf kroatischem Gebiet liegenden KZ Sajmište auf der Fahrt in einem Gaswagen mitten durch Belgrad nach Jajinci, wo man die Leichen in eine Grube warf, ermordet wurden.
Robert Krumholz wurde laut Information vom Enkel von Berta Engler-Seliger, Andre Gingrich, etwa 1943 auf jugoslawischem Staatsgebiet von einer Einheit der deutschen Wehrmacht erschossen. Andre Gingrich erinnerte sich in seiner Kindheit ein entsprechendes Auskunftschreiben des Roten Kreuzes gesehen zu haben, dieses Dokument ist allerdings bislang nicht auffindbar.
Wilhelm, der Sohn von Fani und Josef
Mit hoher Wahrscheinlichkeit besuchte Wihelm, Willi genannt, die Volksschule in der Kolonitzgasse, keine fünf Minuten von der elterlichen Wohnung entfernt. Danach kam er auf ein sehr renommiertes Gymnasium, das GRG 1 im ersten Bezirk, Stubenbastei 6-8. Die Bedeutung dieser Schulform unterschied sich von heutigen Verhältnissen insofern, als aufgrund der rigiden Aufnahmekriterien nur wenige Kinder in den Genuss einer solchen Ausbildung kamen und das Niveau demnach unvergleichlich höher anzusetzen ist als heutzutage. Dementsprechend war nach den Angaben von George Mandler als Zugangsvoraussetzung nach der Volksschule ein anspruchsvoller und offenbar sehr selektiver Aufnahmetest zu bestehen. Im Falle des Nicht-Bestehens dieses Tests konnte lediglich eine Hauptschule besucht werden. Willi Krumholz maturierte am GRG 1 im Jahr 1934.
Anschließend studierte er, der schon von Kindesbeinen an Chirurg werden wollte, Medizin, und arbeitete nach dem ersten Rigorosum bereits in der allgemeinen Poliklinik. Auch die geschiedene Frau von Baruch Günsberg, Frieda/Freude Günsberg, hatte hier, genauso wie Wilhelm, eine Ausbildung zur Masseurin und in Hydrotherapie bei Professor Alois Strasser gemacht. Und auch Baruch Günsberg selbst hatte, nachdem er seinen Job als Fleischhauer nach der nationalsozialistischen Machtübernahme verloren hatte, an diesem Institut noch eine Ausbildung zum Masseur gemacht. Wer aber wem eine Möglichkeit zu einer Stelle hier verschaffte lässt sich nicht nachvollziehen.
Willi erlernte nebenbei das Geigenspiel, dessen Aneignung er später auch seinen Töchtern vorgab. Während seines Studiums pflegte er, entsprechend der persönlichen Auskunft seiner Tochter Diana, eine Beziehung mit "Helli", einem Spross der damals weltberühmten Süßwarendynastie der Familie Heller (Wiener Zuckerln).
Am 11.05.1938 füllte Wilhelm wie sein Vater einen Auswanderungsfragebogen aus. Weiters diskutierte er mit seiner Familie Fluchtmöglichkeiten, aber sein Vater meinte, er habe ja nichts verbrochen, so schlimm könne es wohl nicht werden. Damit irrte er leider ebenso wie Max´ Vater Setyk. Zudem erhoffte man sich [vergeblich] ein Affidavit von kalifornischen Verwandten (Wannowsky, siehe oberhalb) sowie Einreisevisa für die USA. Also versuchte es Wilhelm ohne seine Familie. Zuerst wollte er mit Freunden nach Frankreich flüchten, was aber nicht gelang, er wurde gefasst und nach Wien zurückgestellt. Schließlich unternahm er die abenteuerliche Flucht am 25.11.1938 gemeinsam mit seinem Onkel Fabian Seliger und seinem Cousin Kurt Seliger, erste Anlaufstelle nach der abenteuerlichen Flucht war Karl Engler. Aufgrund der Tatsache, dass dessen Schwester Berta Engler-Seliger offenbar als einzige der Familie nach seiner unstatthaften Beziehung in Wien nicht mit ihm gebrochen hatte, stellte er sich bei den Schweizer Behörden als DER entscheidende Bürge für die Flüchtlinge zur Verfügung. Wilhelm kam, ganz ähnlich wie Max Günsberg, in die Schweiz und bekam es hier, ebenfalls wie Max, hautnah mit dem Chef der eidgenössischen Fremdenpolizei, Heinrich Rothmund, zu tun. Auch Wilhelm sollte, so wie Max, eigentlich nach Deutschland zurückgewiesen werden, dies konnte jedoch mit knapper Not durch die Bürgschaft von Karl Engler (siehe oberhalb) verhindert werden. Er wanderte mit seiner Frau Myriam (geborene Ryszelewska; *05.09.1916/✡17.06.1977) und Tochter Ariane Denise (*19.12.1951 in Basel) über andere Stationen am 10.12.1953 schließlich in die USA aus, wo er sich in New York niederließ, als Psychiater tätig war und mit Myriam 1956 eine weitere Tochter namens Diana bekam. In New York pflegte er Kontakte zu einem Schulfreund aus seiner Wiener Zeit am GRG1, der der Familie des österreichischen Kanzlers Karl Renner entstammte, sowie zu seiner Cousine Lilly Engler (die Tochter von Leon Engler), an deren rauschende Parties sich seine Tochter Diana noch heute erinnert. Nach Myriams Tod im Jahr 1977 lebte Wilhelm zusammen mit Anne, dem vormaligen Kindermädchen seiner Töchter. Sein Neffe Andre Gingrich, der Enkel seiner Schwester Berta Seliger, meinte 2022: "Sein Psychiater-Lieblingswitz besagte, dass er selbst leider nur fünf Sprachen beherrsche: Wienerisch, leidliches passives Jiddisch, gutes Baslerdütsch, schlechtes Hochdeutsch, und grottenschlechtes Englisch mit schwerem Wiener Akzent."
Wilhelm Krumholz hinterließ seine Lebenserinnerungen in den 1990er Jahren in einem Interview für das Visual History Archive der USC Shoah Foundation. Er starb in Bohemia, Suffolk, New York, am 16.12.2002.
Seine Tochter Diana Krumholz-McDonald nahm 2021 ein entsprechendes Angebot des Staates Österreich an und ist seither als Nachkomme von Holocaust-Überlebenden auch österreichische Staatsbürgerin, ebenso wie ihre beiden Kinder Ross und Samantha. Das Wiederauffinden und die Kontaktaufnahme mit dieser Familie, deren Beziehung zur Familie Günsberg vor 1938 so eng gewesen war, gehört zu den absoluten und ungemein bereichernden Highlights meiner jahrelangen Recherchen.
Fani und Josef Krumholz in Jugoslawien 1940 | Robert Krumholz |