Max Günsberg


Wanderjahre


Wien zum ersten...1949


Anfang 1949 war also die Entscheidung gefallen, trotz dem erst kurz zuvor beantragtem Dauerasyl in der Schweiz doch wieder von Zürich nach Wien zurückzukehren. Am 19.01.1949 kamen Max und Ilona Günsberg in Wien an und quartierten sich vorerst im Hotel Kaiserin Elisabeth in 1010 Wien, Weihburggasse 3, ein.

Um eine Rückstellung der Wiener Mietwohnung in der Löwengasse 2a, in der Max vor 1938 gelebt hatte, zu erreichen, wurde ein Ersuchen um Meldeauskunft an die Polizeidirektion Wien gestellt. Die gewünschte Meldeauskunft wurde am 21.02.1949 erteilt. Eine Rückstellung der Wohnung erfolgte jedoch wie in allen diesen Fällen nicht, ein entsprechendes Rückstellungsgesetz wurde nie verabschiedet..

Unabhängig von der nicht erfolgten Rückstellung weigerte sich die Republik Österreich auch viele Jahrzehnte beharrlich die ehemaligen jüdischen Mieter arisierter Mietwohnungen wenigstens pekuniär  zu entschädigen. Erst im Jahr 2001 wurde in Umsetzung des Washingtoner Abkommens der Nationalfonds der Republik Österreich mit einer Pauschalentschädigung für die Opfer bzw. deren Nachkommen betraut. Entsprechende Anträge konnten bis 30.06.2004 gestellt werden. In Unkenntnis dieser Regelung kam unsere Familie jedoch nicht in den Genuss einer solchen Zahlung. Ich persönlich hatte zu diesem Zeitpunkt über die Lebensgeschichte meines Vater Max überhaupt keine Ahnung.

In der Folge residierte das Ehepaar Günsberg ab 28.02.1949 an nobler Adresse im ersten Bezirk, in der Jasomirgottstraße 6/1/2, nur wenige Meter entfernt von Max` einstiger Arbeitsstätte, dem Kleiderhaus Rothberger. Am 22.04.1949 erhielt Max einen Identitätsausweis. Danach erlernte er das Lenken eines PKW, sein Führerschein wurde am 14.07.1949 ausgestellt.


Von staatlicher Seite erhoffte sich Max eine Entschädigung und Anerkennung seines Opferstatus laut Opferfürsorgegesetz von 1947. Nach seiner Rückkehr aus dem Schweizer Exil wurde laut Opferfürsorgebescheid vom 25.11.1949 sein Status als Opfer politischer Verfolgung auch bestätigt und er erhielt den untenstehenden Opferausweis, der die verschiedensten Vergünstigungen versprach. Allerdings fanden die in diesem Ausweis angeführten Steuerbefreiungen, die den heimgekehrten Juden und Jüdinnen oftmals als ungerechtfertigt nachgesagt wurden, so gut wie keine Anwendung. Wie von einer Historikerkommission nachgewiesen, wurde lediglich ein kleiner Steuerfreibetrag gewährt.

Nachdem 1963 eine opferfreundlichere Novellierung des OFG erfolgt war, ließ Max über seinen Anwalt Julius Klügler einen Antrag auf Entschädigung für seinen Verdienstentgang und einen weiteren für die Anhaltung in Arbeitslagern einbringen. Der Antrag auf Verdienstentgang wurde positiv beschieden und Max erhielt 1965 eine einmalige Zahlung von ÖS 10.000,00 (nach heutigem (2021) Wert ca. EUR 4.000,00). Die Anhaltung in Schweizer Arbeitslagern wurde hingegen als nicht entschädigungswürdig erachtet, da laut Gesetz nur Anhaltungen in Lagern der kriegsführenden Parteien dazu berechtigten, die Schweiz jedoch kein Kriegsteilnehmer war.

Opferausweis Max Günsberg

Einige Jahre später stellte er erneut einen Antrag auf Entschädigung gemäß Artikel 25 des österreichischen Staatsvertrages. Es gibt jedoch keinen Hinweis auf einen etwaigen Erfolg dieser Bemühung.

Die Möglichkeiten wirtschaftlich auf die Beine zu kommen waren nach dem Krieg bescheiden. Max war aber offenbar kreativ wie ein Ausschnitt in der Zeitung „Neues Österreich“ vom 04.10.1949 auf Seite 3 belegt:
Meine Mutter Gerlinde hat mir einmal erzählt, dass Max im Zuge dieser Festnahme eine Nacht ausgerechnet im Gefängnis von Friesach in Kärnten, dem Geburtsort meiner Frau Sylvia und meiner Tochter Iris, zubringen musste.

Israel 1950


Im Anschluss daran und da aller guten Dinge bekanntlich drei sind, versuchte Max nun Anfang 1950 in Palästina sein Glück, er hatte ja bereits vor 1938 in Wien und dann nochmal unmittelbar nach seiner Emigration in die Schweiz vergebliche Versuche dazu unternommen. Möglicherweise wollte er sich auf diese Art auch dem Zugriff der österreichischen Justiz (siehe oberhalb) entziehen. Die Wohnung in Wien in der Jasomirgottstraße gab er jedoch vorläufig nicht auf. Der erst kurz zuvor im Jahr 1948 entstandene und aufstrebende Staat Israel versprach vielfältige Betätigungsfelder. In seinen Erzählungen berichtet mein Bruder Sandro von dem im Jahr 1950 erfolgten Versuch in Israel Fuß zu fassen. Belegt ist Max´ dortiger Aufenthalt durch einen israelischen Führerschein, ausgestellt im Juli 1950 auf den Namen Moische Ginsberg.
Max Geschäftsmodell war der Import von sechs gebrauchten FIAT-Lastwagen, deren Bedarf in einem gerade im Aufbau befindlichen Land er als lohnend erachtete. Womit er jedoch nicht gerechnet hatte, war der ebenfalls vorhandene Bedarf der israelischen Armee, die die Lastwagen kurzerhand requirierte, wie er Sandro erzählte und dieser in einem Buch beschreibt:
"Ein Major meinte zu meinem Vater, er solle zuerst einmal Aufträge hereinholen. Sobald er welche hätte, bekäme er die Lastwagen wieder.[…] Nach sechs Monaten gelang meinem Vater endlich der heissersehnte Coup: Er zog einen Großauftrag für Warentransporte nach Eilat am Roten Meer ans Land. Erfreut rief er den Major an und fuhr mit fünf angeheuerten Chauffeuren ins Armeecamp, um seine Lastwagen abzuholen, musste dabei aber feststellen, dass diese nun komplett schrottreif waren. Sein Versuch, sich in Israel eine Existenz zu schaffen, war somit gescheitert."

Wien zum zweiten...1950


Max und Ilona kehrten also wieder nach Wien zurück, gaben am 02.12.1950 ihre Wohnung in der Jasomirgottstraße auf und wohnten kurze Zeit im 8. Bezirk, Skodagasse 1/9. Am 25.12.1950 meldeten sich Max und Ilona auch schon wieder aus Wien ab.

Mailand 1950


Ihre neue Heimat wurde nunmehr Mailand und ihre dortige Wohnadresse lautete Viale Campania 5. In Mailand war Ilonas Bruder Mendi/Eugen Netzer unmittelbarer Nachbar (Viale Campania 7) auch bereits im Schmuckgeschäft tätig. Max bestritt seinen Lebensunterhalt vorerst mit ähnlicher Tätigkeit wie schon einige Zeit zuvor in Wien. Die abenteuerlichen Schmuggelgeschichten mit Schmuck und Uhren an der Grenze zwischen Italien und der Schweiz sind in den Büchern meines Bruders Sandro nachzulesen.
Rechts: Max Günsberg in Mailand 1952

Um in Italien mit italienischen Autos fahren zu dürfen besorgte sich Max am 20.11.1951 in Wien einen zwischenstaatlichen Führerschein, der zusätzlich zum österreichischen Führerschein für das Lenken ausländischer Fahrzeuge notwendig war.

Und hier in Mailand gründete Max Günsberg auch seine erste eigene Uhren- und Schmuckfirma am 18.09.1952, ansässig in zentraler Lage in der Via Broletto 50. Diese Adresse muss Max als ausgewiesenem Opernfan gefallen haben, lag sie doch nur wenige Meter von der berühmten Mailänder Scala entfernt. Am 13.02.1953 erwarb der gebürtige Schweizer Enrico Kerner einen Anteil an der Gesellschaft, die schließlich am 03.11.1954 eingetragen wurde. Als Alleingeschäftsführerin fungierte Ada Beccatini. Offenbar benötigte Max aufgrund der nicht vorhandenen Berechtigung eine gewerberechtliche Geschäftsführerin oder es war zu dieser Zeit in Italien für Ausländer noch nicht möglich selbst als Geschäftsführer zu fungieren.


Am 12.01.1952 kam in Mailand Ilonas und Max´erster Sohn Alexander, italienisch Sandro, zur Welt und bereits im folgenden Jahr, am 06.01.1953, der zweite Sohn Georg, italienisch Giorgi.
Max Günsberg und sein Sohn Alexander (Sandro)

Am 29.07.1954 passierte bei Familie Günsberg im Sommerurlaub in Marina di Massa ein folgenschwerer Unfall: der kleine Giorgi stürzte im Feriendomizil
"Villa Picca" über eine Treppe und erlitt einen Schädelbasisbruch. Mit viel Glück und ärztlicher Hilfe überlebte er diese Verletzung. 


Wohl bereits im Arbeitslager in Locarno, wo ja viele italienische Emigranten untergebracht waren, als auch während seiner Zeit in Italien hatte sich Max die italienische Sprache offenbar sehr gut angeeignet. Aufgrund seiner südländischen Erscheinung, seines Auftretens und seiner Ausdrucksweise wurde er später auch in Italien von Einheimischen oft für einen Italiener gehalten. Am 05.05.1953 bewarb sich Max um eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung für Italien. 
Aber ebenso wie in der Schweiz einige Jahre zuvor kehrte Max unmittelbar nach Beantragung um dauernden Aufenthalt und noch vor Erhalt einer Zu/Absage seiner vermeintlichen neuen Heimat den Rücken. Denn auch in Mailand blieb die mittlerweile mit Kindern gesegnete Familie Günsberg nicht. Wie Max´ Sohn Sandro in seinem Buch ausführt:
„Dies aus Angst vor der Mafia. Ein Cousin unseres sizilianischen Kindermädchens hatte meinen Vater unter Todesdrohungen aufgefordert, sich scheiden zu lassen und seine Cousine zu ehelichen, weil sie angeblich von ihm schwanger war.“

Wien zum dritten...1954


Also erfolgte 1954 eine erneute Rückkehr nach Wien, hier sollte Max nun endlich und endgültig seine neue alte Heimat finden. Langweilig sollte sein Leben aber auch hier nicht werden.