Berta Bruche Engler wurde am 02.11.1893 in Walawa im Gerichtsbezirk Kotzmann im damals (bis 1918) österreichischen Kronland Bukowina als Tochter von Isaak und Klara Engler geboren. Der Ort heisst heutzutage Valyava und liegt in der Ukraine rund 20km nördlich von Czernowitz. Ihr Enkel Andre Gingrich meinte über sie 2022: "Übrigens sagte mir Omi Bertha immer: Deutsch sei bloss ihre "dritte Sprache" gewesen. Ihre erste wäre "Ruthenisch" (also: Westukrainisch), die zweite Jiddisch, und die dritte (erst via Volksschule) Deutsch. Sie hatte auch eher einen slawischen Akzent."
Berta kam mit ihren Eltern und Geschwistern 1914 nach Wien und heiratete hier am 19.10.1919 den Kaufmann Feibisch/Fabian Seliger (*13.05.1892 in Suharaú, Bezirk Dorohoi, Rumänien). Feibisch Seliger war ebenfalls bereits 1914 nach Wien gekommen,hatte sich hier jedoch nicht zu seiner rumänischen Herkunft bekannt, um nicht aufgrund der Staatszugehörigkeit zu einem nunmehrigen Kriegsgegner der k.u.k. Monarchie wieder in sein Herkunftsland zurückgewiesen zu werden. Stattdessen gab er sich künftig als "staatenlos" aus, was ihm und seiner Familie, die diesen Status "vererbt" bekam, später noch zugute kommen sollte.
Berta und Faibisch bekamen in Wien die Kinder Kurt (1921) und Rita (1925). Die Familie wohnte zuerst im ersten Bezirk, Laurenzerberggasse 5 (an dieser Adresse führte Bertas Bruder Salomon Engler ein Geschäft), ab 04.10.1932 dann ebenfalls im ersten Bezirk am Fleischmarkt 18. Fabian betrieb in der Praterstraße 23 ein Papiergeschäft und konnte seine Familie mehr schlecht als recht ernähren. Ein Ausgleichsverfahren konnte 1931 erfolgreich abgeschlossen werden.
Berta und Fabian Seliger im Jahr 1924 vor dem Geschäft in der Praterstraße. [Klick] für Bild in voller Auflösung.
Nachdem Bertas Mann Fabian am 23.05.1938 einen Auswanderungsfragebogen ausgefüllt hatte, gelang ihm gemeinsam mit Kurt 1938 auf abenteuerliche Weise die Flucht (siehe unterhalb bei Kurt Seliger). Die kleine Rita konnte mit einem der berühmten Kindertransporte in die Schweiz auswandern. Einzig Berta musste nach wie vor in Wien ausharren. Obwohl das Geschäft von Fabian in der Praterstraße im Rahmen der Arisierung "abgewickelt", also liquidiert wurde, konnte sich Berta davon noch eine Weile über Wasser halten. Schließlich schaffte es ihr Mann Fabian Ende August 1939 auch für seine Frau Berta noch ein Visum zu organisieren, vorgeblich um ihren Bruder Karl Engler in Basel zu besuchen. Dabei kam ihm die oben erwähnte "Staatenlosigkeit", auf die sich nun auch seine Familie berief, zustatten. Bis Kriegsausbruch behandelten die Nazis die staatenlosen Juden nämlich vorerst wie "ausländische" und nicht wie "deutsche" Juden. Bertas Sohn Kurt beschrieb in seinem Buch eine abweichende Version über Bertas Flucht und dass sie durch einen Trick einer Bekannten die Grenze überwinden konnte. Wie auch immer - bei Berta geschah dies Ende August buchstäblich im letzten Moment - am 01.09.1939 überfiel nämlich Deutschland Polen, ab da war an eine Ausreise nicht mehr zu denken.
Nach dem Krieg kamen die Kinder Kurt und Rita bereits 1946 wieder nach Wien zurück, ihre Eltern folgten Anfang 1947 und betrieben hier in der Folge einen Handel mit optischen Instrumenten in 1040 Wien, Margaretenstraße 34. Berta starb am 21.11.1960 in Wien und wurde am Wiener Zentralfriedhof begraben. Fabian starb am 03.04.1982 in Wien und wurde im selben Grab beigesetzt.
Bertas und Fabians Kinder
Kurt Seliger kam am 03.11.1921 in Wien bei einer Hausgeburt in der Wohnung von Bertas Mutter Klara zur Welt. Als Jugendlicher betätigte er sich vor 1938 kommunistisch und war deshalb im September 1938 bei der Gestapo vorgeladen. Statt nach Dachau kam er aber mit viel Glück frei, da zum Zeitpunkt seiner Einvernahme spätabends kein Gestapo-Beamter mehr Dienst versah und der vertretende Kriminalbeamte Tarockpartner eines Bekannten seines Vaters gewesen war. Ähnlich könnte sich das übrigens auch bei Max Günsberg bezüglich seiner Betar-Mitgliedschaft und der angeblichen Fluchthilfe durch einen Bekannten abgespielt haben.
Kurt und sein Vater Fabian flohen mit Kurt´s Cousin Wilhelm Krumholz am 25.11.1938 nach Basel, erste Anlaufstelle nach der abenteuerlichen Flucht war sein Onkel Karl Engler. Aufgrund der Tatsache, dass dessen Schwester Berta Engler-Seliger offenbar als einzige der Familie nach seiner unstatthaften Beziehung in Wien nicht mit Karl gebrochen hatte, stellte dieser sich bei den Schweizer Behörden als DER entscheidende Bürge für die Flüchtlinge zur Verfügung. Dabei kam ihm die oben erwähnte "Staatenlosigkeit", auf die sich nun auch seine Familie berief, zustatten. Bis Kriegsausbruch behandelten die Nazis die staatenlosen Juden nämlich vorerst wie "ausländische" und nicht wie "deutsche" Juden. Die Flucht in die Schweiz beschrieb Kurt in seinem Buch „Basel-Badischer Bahnhof“.
Kurt Seliger durchlebte in der Schweiz ein Lagerdasein ähnlich wie Max Günsberg. 1943 war er sogar im gleichen Lager in Locarno (Gordola) und ebenfalls, so wie Max zuvor, mit dem „Steinbettlegen“ beim Straßenbau beschäftigt, nur eben zwei Jahre nachdem Max dort gewesen war. Sein Aufenthalt als Anhänger der kommunistischen Partei in Locarno ist nachvollziehbar, da dieses Lager speziell für die in der Schweiz unliebsamen Kommunisten eingerichtet worden war.
Nach dem Krieg kam Kurt ebenso wie seine Schwester Rita bereits 1946 wieder nach Wien zurück, die Eltern Berta und Fabian folgten Anfang 1947. Kurt Seliger war in der Folge als überzeugter Kommunist einige Zeit in der DDR und später Journalist in Wien. Kurt Seliger starb am 17.05.1999 in Wien, seine Urne wurde an gleicher Stelle wie die seiner Schwester Rita am 04.06.1999 beigesetzt. Seine Tochter Ruth lebt heute (2021) in Wien.
Rita Seliger kam am 08.10.1925 in Wien (1190 Wien im "Rudolfinerhaus") zur Welt. Im Februar 1939 konnte Rita als eines von ganz wenigen Kindern legal mit einem der berühmten Kindertransporte in die Schweiz ausreisen, zuvor musste von Berta für sie am 17.02.1939 noch ein Auswanderungsfragebogen ausgefüllt werden. Nach dem Krieg kam sie 1946 wieder nach Wien und führet danach ein ereignisreiches Leben, sie heiratete in Zürich am 02.12.1948 den Amerikaner Rowe Gingrich und lebte mit ihm von Ende 1948 bis April 1952 in den USA. Nach der neuerlichen Rückkehr nach Wien bekamen sie die beiden Söhne Andre und Michael, ließen sich jedoch 1957 wieder scheiden. Neben verschiedensten Ausbildungen und Tätigkeiten widmete sich Rita in ihren letzten Jahren dem Schreiben und verfasste einige veröffentlichte Gedichte. Sie starb schließlich in Madrid am 03.09.1986, ihre Urne wurde am 01.10.1986 in Wien beigesetzt. Kurt Seliger starb am 17.05.1999 in Wien, seine Urne wurde an gleicher Stelle wie die seiner Schwester Rita am 04.06.1999 beigesetzt. Beide Söhne leben heute (2021) in Wien.
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Rita, Fabian und Kurt Seliger in Bad Vöslau am 29.08.1930