Pesie/Pessi/Pepi/Josefine Singer wurde am 08.01.1860 in Sadagora, einem heutigen Stadtteil von Czernowitz, im damals (bis 1918) österreichischen Kronland Bukowina, geboren. Die Herkunftsfamilie von Pessi Singer lässt sich nicht mehr nachvollziehen, ihr Vater stammte jedoch offensichtlich aus Viznitz, heute Wyschnyzja (Ukraine), gut 50km westlich von Czernowitz, da Pessis Heimatzuständigkeit in ihren Dokumenten so angegeben ist und dieser Ort nach dem Heimatort des Vaters zugeordnet wurde.
Pessi heiratete um 1889 Moses Engler (Max Günsbergs mütterlichen Großvater) aus Walawa, einem Ort knapp 20km nördlich von Czernowitz. Er hatte eine Schwester namens Klara, die mit Isaak Engler verheiratet war. Klara Engler war also Pessis Schwägerin.
Pessi und Moses Engler lebten in Jucica Noua, damals eine eigenständige Gemeinde im Gerichtsbezirk von Sadagora, heute als Neu-Zuczka ein Stadtteil von Czernowitz. Aufgrund des in vielen Dokumenten vorhandenen Doppelnamens Engler-Singer lässt sich ableiten, dass die beiden in Zucka wahrscheinlich in einer nicht der israelitischen Kultusgemeinde (IKG) zuzuordnenden Synagoge geheiratet haben. Dem damaligen Streit zwischen dem Oberrabbinat von Czernowitz (in der Chereskulgasse/heute Shchepkina) und dem Zaddiken von Sadagora ist zu verdanken, dass die dortigen Bücher erst nach 1901 vorhanden sind und aufgrund dieses Streits die Ehe nicht verzeichnet wurde und daher bei Behörden als nicht rechtskräftig galt. Ebenfalls möglich ist, dass die Ehe aufgrund der damals vorherrschenden Quoten für offizielle jüdische Eheschließungen lediglich rituell erfolgte und gar nicht amtlich eingetragen werden konnte. Jedenfalls wurden aufgrund der fehlenden Ehe-Legitimation auch die Kinder dieser Ehe nicht legitimiert. Sie wurden später in Wien nachträglich als unehelich vermerkt und mussten ebenso wie ihre Mutter Pessi rückwirkend den Mädchennamen der Mutter, Singer, annehmen. Diese Namensänderung erfolgte erst in Wien im Jahre 1926. In den Adressbüchern jener Jahre scheint sie jedoch weiterhin durchgehend bis zu ihrer Übersiedlung in ein Pflegeheim im Jahr 1938 als Josefa Engler auf.
Das Ehepaar Engler-Singer hatte eine Tochter und drei Söhne:
Etie Feige - Mutter von Max Günsberg
Sindel - Onkel von Max Günsberg
Abraham David - Onkel von Max Günsberg
Eisig - Onkel von Max Günsberg
Bereits kurz nach der Geburt der Kinder starb Moses Engler, er wurde am 30.06.1896 am neuen jüdischen Friedhof in Czernowitz beerdigt. Sein Grabstein wurde vom Comis- und Buchhalter-Unterstützungsverein gewidmet, was auf seine berufliche Tätigkeit schließen lässt.
Der Unterstützungsverein beschloss etwa zwei Jahre nach dem Tod von Moses Engler eine Statutenänderung, wonach unbemittelte Witwen von verstorbenen Vereinsmitgliedern alljährlich am 24.April mit einer Zuwendung von 100 Gulden zu bedenken seien. Davon dürfte Pessi eine Zeitlang profitiert haben.
Die verwitwete Pessi folgte mit ihren Kindern Abraham, Sindel und Etti im Jahr 1916 ihrer Schwägerin Klara Engler und deren Familie nach Wien, die bereits 1914 nach Wien gekommen waren. Dort wohnte sie auch im selben Haus in 1030 Wien, Radetzkystraße 10, anfänglich im obersten Stockwerk, Tür Nummer 18. Klara und ihr Mann Isaak und deren Kinder wohnten im zweiten Stock, Tür Nr. 14. Ab 28.02.1917 wohnte Pessi mit ihren Kindern im Erdgeschoß, Tür Nr. 5, wo seit 1915 während des ersten Weltkrieges (1914-1918) bereits Klaras Tochter Fani mit ihrem Sohn Wilhelm lebte, während ihr Mann Josef an der Front diente. In dieser Wohnung mit kaum mehr als 20m² muss es unglaublich beengt zugegangen sein. Wahrscheinlich war es bei Klara und Isaak mit den vielen Kindern sogar noch enger. Diese Lebensverhältnisse waren bei den allermeisten oft bettelarmen galizischen Einwanderern wohl üblich.
Gerhard Günsberg vor der winzigen Wohnung in der Radetzkystraße 10/5,
die heutzutage als Fahrradabstellraum dient
Als Pessis Tochter Etti 1919 Setyk Günsberg heiratete, wurde es in Wohnung Nummer 5 wohl endgültig zu eng und das frisch getraute Ehepaar Günsberg zog an eine andere Adresse, wo dann Max Günsberg 1920 zur Welt kam. Als wiederum Fani und Josef Krumholz ihr zweites Kind (Robert) erwarteten, suchten sie sich ebenfalls eine eigene Wohnung. Dadurch wurde bei Pessi wieder Platz, Etti und Setyk konnten mit dem kleinen Max wieder bei Pessi einziehen. Nachdem sie dann 1925 eine weitere Tochter (Herta) bekommen hatten und es bei Pessi erneut zu eng geworden war, bezogen sie 1926 eine eigene Wohnung in 1030 Wien, Obere Weißgärberstraße 28/3. Zudem hatte ihr Sohn Abraham David, der ja ebenfalls in dieser Wohnung wohnte, zu diesem Zeitpunkt ebenfalls mit Malka Koss eine Familie gegründet und die beiden erwarteten ihren ersten Sohn. Es muss in der Wohnung jedenfalls beängstigend eng zugegangen sein.
Pessi lebte bis 16.02.1937 in der Radetzkystraße 10/5 und kam dann offenbar altersbedingt in ein Pflegeheim. Sie erreichte das stattliche Alter von 80 Jahren und starb an Altersschwäche am 03.04.1940 im Altersheim der IKG Wien im neunten Bezirk, Seegasse 9. Sie wurde am 07.04.1940 auf dem Wiener Zentralfriedhof beerdigt.