Geza Baruch Fischer (*1887) stammte aus einer alteingesessenen Familie in Balassagyarmat. Er heiratete 1924 eine weitere der zahlreichen Herzfeld-Schwestern aus Vac. Die lebenslustige und wesentlich jüngere Rachel Herzfeld (*1906), die bis dahin das Budapester Leben mit all seinen weltlichen Vergnügungen wie Tanz und Musik genossen hatte, musste sich allerdings radikal umstellen, da im Hause des Rabbiners Baruch Fischer ein streng orthodoxer Lebensstil gepflegt wurde und Tanz, weltliche Musik oder gar ein Radio verpönt waren.
Das hielt die älteste Tochter Hedi Fischer (*1927) nach deren Aussage jedoch nicht davon ab heimlich unter der Bettdecke Bücher zu lesen um etwas über die Welt außerhalb der Orthodoxie zu erfahren.
Und auch Rachel hörte weiterhin auf dem Grammophon Musik von Schubert, Beethoven oder Mozart, wenn ihr Mann nicht zu Hause war.
Das Ehepaar Fischer bekam fünf Kinder, die ebenfalls streng religiös aufwuchsen. Rachel Fischer trug nebenher mit einem Pelz- und Textilhandel zum Familieneinkommen bei. Das sollte ihr nach dem frühen Tod ihres Mannes bei der Erhaltung der Familie zugute kommen.
Rabbi Baruch Fischer war nicht von der Shoah betroffen. Er starb bereits zuvor am 16. September 1941 an einem Krebsleiden und ist am Friedhof in Balassagyarmat bestattet.
Rachel musste sich also 1944 alleine um das Wohl ihrer Kinder sorgen. Sie hatte allerdings bereits 1943 Gelegenheit sich darüber Gedanken zu machen. Zwei tschechoslowakische Männer hatten es über die Grenze geschafft und baten um Zuflucht, die ihnen die stets mildtätige Rachel Fischer auch gewährte. Sie erzählten ihr von den an den Juden verübten Greueln nördlich und östlich von Ungarn und warnten sie – falls es je zur Einrichtung von Ghettos in Ungarn kommen sollte – ein dortiger Verbleib sei Selbstmord. Sie solle ihre minderjährigen Kinder bei christlichen Familien unterbringen und für die anderen gefälschte Papiere besorgen.
Als es dann 1944 tatsächlich dazu kam besann sie sich dieser Warnung und kaufte kurz vor der Einrichtung des Ghettos Balassagyarmat für den ältesten Sohn Henrik Erwin Hanoch Fischer (*1925) und die älteste Tochter Hedi Zipora Fischer (*1927) gefälschte Papiere.
Die minderjährigen Kinder Judith Fischer (*1929), Andor Schloime Fischer (*1933) sowie die Nachzüglerin Györgie Zlata Medike Fischer (*1939) brachte sie zu den Eltern einer befreundeten christlichen Familie, die ihr dazu ebenfalls dringend geraten hatten. Diese Familie besaß außerhalb der Stadt einen Bauernhof. Beim Abschied von den Kindern weinten diese jedoch bitterlich und wollten die Mutter nicht loslassen. Rachel brachte die Trennung nicht über´s Herz, nahm die Kinder wieder mit und blieb mit ihnen im Ghetto. Dies sollte für die Kinder und auch für Rachel selbst das Todesurteil bedeuten. Rachel hätte als alleinstehende 38-jährige Frau durchaus Überlebenschancen gehabt. Als Mutter mit Kleinkindern war ihr Schicksal jedoch besiegelt, sie wurde samt ihren Kindern unmittelbar nach der Ankunft in Auschwitz ermordet.
Hanoch Fischer wurde von seiner Mutter Rachel mit falschen Papieren ausgestattet und fortgeschickt, aber dennoch 1944 nach Auschwitz und später nach Gunskirchen deportiert. Er überlebte und starb am 29. September 1991 in England.
Rachel Fischer kümmerte sich für ihre Tochter Hedi Fischer um Quartier als zahlender Gast bei einer Familie in Miskolc, einer Stadt im Osten Ungarns. Hedi wurde von ihrer Mutter auf „arisch“ getrimmt und unmittelbar vor Einrichtung des Ghettos Balassagyarmat am 7. Mai 1944 in den Zug gesetzt mit der ausdrücklichen Auflage nur ja niemandem von ihrer wahren Identität zu erzählen. Hedi fuhr nunmehr mit gefälschten Papieren unter dem Namen Boriska Kovacs nach Miskolc und fand bei der ahnungslosen Gastfamilie Aufnahme.
Da sie in keine Schule gehen konnte verbrachte sie ihre Freizeit auf den Straßen von Miskolc, wo sie auf andere Mädchen traf, die ebenso nichts zu tun hatten und unter dem gleichen Vorwand hierher gekommen waren. Nach einiger Zeit lüfteten die Mädchen voreinander ihr Geheimnis. Dies sollte sich rächen. Die beiden anderen Mädchen wurden kurze Zeit später verhaftet und verrieten beim Verhör Hedis Identität. Daraufhin wurde auch Hedi verhaftet und musste eine äußerst erniedrigende Befragung über sich ergehen lassen. Das halbwüchsige Mädchen, das bis zu diesem Zeitpunkt niemals vor einem Mann, auch nicht ihrem Vater oder Bruder, bar jeder Bekleidung sich zeigen hatte müssen, wurde vor sechs Männern zur Nacktheit gezwungen und peinlich genau untersucht (…they looked in every hole…), da man versteckten Schmuck oder Diamanten vermutete.
Für das streng erzogene Mädchen bedeutete dies eine ungeheure Sünde.
Danach wurde Hedi Fischer in einem Lager in Debreczen interniert. Dort lernte sie die etwas ältere Alice Hersch kennen, die die traurige Hedi bemerkt hatte und fortan deren beste Freundin und Schutzengel sein sollte.
Im Juli 1944 wurden die Mädchen mit einem der berüchtigten Judentransporte deportiert. In einem Viehwaggon mit rund 60 anderen Personen fuhren sie ohne Frischluft fünf Tage und fünf Nächte in glühender Julihitze ohne Wasser oder Verpflegung, mit einem einzigen für 60 Personen natürlich viel zu kleinen zur Notdurft gedachten Eimer, der nur selten geleert wurde, an ein ihnen unbekanntes Ziel. Die Menschen waren derart dicht gedrängt, dass während der gesamten Fahrt ausschließlich Stehen möglich war, die Menschen konnten auch nur im Stehen schlafen. Für zwei Männer waren die Strapazen zu viel, sie starben auf diesem Transport. Hedi konnte beim Aussteigen ihre Füße nicht mehr bewegen und musste gestützt werden. Sie beschrieb diese Fahrt und den furchtbaren Geruch als das schlimmste jemals Erlebte.
Nach fünf Tagen und Nächten wurde in
Strasshof an der Nordbahn, ca. 20km nordöstlich von Wien der Waggon geöffnet und die Menschen konnten diesen verlassen.
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in vielen Quellen ist Straßburg (Strasbourg) an der deutsch/französischen Grenze angegeben; das ist jedoch definitiv falsch und den englischen Übersetzern geschuldet, die Strasshof natürlich nicht kannten. Hedi Fischer sprach eindeutig von Strasshof!]
Die Bewacher befragten die Gruppe nach für die Rüstungsproduktion geeigneten Personen. Alices Cousin, der ebenfalls der Gruppe angehörte, war Elektriker und raunte Alice zu die Hand zu heben wenn er dies tat. Alice wiederum sagte dasselbe zu Hedi. Als schließlich die Frage nach Elektrikern gestellt wurde meldeten sich Alice, Hedi, der Cousin von Alice Hersch und dessen Freund. Daraufhin wurden diese vier in ein Arbeitslager nach
Zwentendorf, in der Nähe von Tulln, überstellt. Dort mussten sie unter teilweise unmenschlichen Bedingungen und ständigem Hunger von Juli 1944 bis März 1945 Zwangsarbeit in den
Österreichischen Siemens-Schuckert-Werken verrichten.
Bei Bombenangriffen mussten die Zwangsarbeiter in eigenen Schutzräumen Zuflucht suchen. Dies nutzte die hungrige Hedi manchmal, um in der Umgebung des Lagers nach Essbarem zu suchen und danach unbemerkt wieder ins Lager zurückzukehren. Dabei traf sie in den Donauauen auf einen Mann, der ihr etwas zu essen anbot wenn sie ihn auf sein Boot begleite. Mit knapper Not entkam sie bei dieser Gelegeneheit einer Vergewaltigung.
Als eines Tages Sabotage an den hergestellten Produkten festgestellt wurde und die Zwangsarbeiter nach dem Schuldigen befragt wurden, meldeten sich Alices Cousin und sein Freund. Sie wurden nie wieder gesehen.
Einer der Vorarbeiter im Werk namens Meier empfand Sympathie für die beiden Mädchen und versuchte ihnen so gut als möglich zu helfen. Als die russische Front immer näher rückte und die Evakuierung des Lagers samt Todesmarsch nach Mauthausen bevorstand, verhalf er Alice und Hedi zur Flucht und bot ihnen an die letzten Kriegswochen bei seiner Familie in Wien Hietzing zu verbringen. Den Weg von Zwentendorf dorthin beschrieb er ihnen zwar, sie mussten jedoch selbständig an ihr Ziel gelangen. Sie schlugen sich zum Bahnhof in Tulln durch und sorgten beim Fahrdienstleiter für Verblüffung, da sie als einzige nach Osten Richtung Wien und damit direkt an den Kriegsschauplatz wollten. Nur ein einziger Zug fuhr noch in diese Richtung, der mit dem letzten Aufgebot an Hitler-Jugend gefüllt war. Inmitten dieser noch blutjungen Buben konnte Hedi deren Todesängste hautnah miterleben.
Hedi und Alice gelangten in das verwüstete und mit Leichen übersäte Wien und kamen tatsächlich unbeschadet zur Familie Meier. Dort verbrachten sie die letzten Kriegswochen und bekamen auch zum ersten Mal seit Monaten ausreichend Verpflegung.
Unmittelbar nach der Befreiung Wiens am 13. April 1945 durch die rote Armee versuchte Hedi einige Zeit erfolglos wieder nach Budapest zu gelangen. Mit Hilfe eines jüdischen Offiziers der roten Armee gelang die Rückkehr jedoch in einem völlig überfüllten Zug. In Budapest folgte die Wiedervereinigung mit den noch lebenden Familienmitgliedern. Ein Besuch in Balassagyarmat führte Hedi die nach wie vor bestehenden antisemitischen Ressentiments der dortigen Bevölkerung vor Augen, eine tatsächliche Rückkehr stand daher außer Frage.
Ihre religiösen Überzeugungen hatte sie, wie sie selbst in einem Interview später angab, ohnehin längst verloren.
Hedis Onkel Hermann Armin Hazi Herzfeld war bereits 1939 mit seiner Familie nach England ausgewandert und betrieb in London in der noblen Upper Thames Street einen profitablen Handel mit Pelzen. Er war nach dem Krieg bestrebt möglichst allen überlebenden Familienmitgliedern zu helfen. Auch Ilona und Max Günsberg bot er an, die Vertretung seines Pelzhandels in der Schweiz zu übernehmen, ein anderes Familienmitglied leitete dann seine Filiale in Tel Aviv. Andere Nichten und Neffen versuchte er von einer Auswanderung nach England zu überzeugen.
Hermann Armin Hazi Herzfeld (*1901) mit seiner Frau Margit, geborene Klein, und deren Sohn Andrew Herzfeld (*1927), London, 1947
Auf diese Weise kam Hedi Fischer am 28. November 1946 nach London. Hier heiratete sie 1948 Tibor Rosenthal, einen Cousin der Rosenthal-Schwestern, mit denen Ella, Irene und Baba Netzer den Holocaust gemeinsam überlebt hatten und bekam mit ihm 1949 ihre einzige Tochter Judith/Judy, die später nach Jerusalem auswanderte. Die Ehe wurde 1967 geschieden und Hedi heiratete erneut 1972 George Frankl.
Ihre Freundin Alice wanderte nach Israel aus und starb
ca. 2010.
Nachdem Hedi in London zu Beginn in einer Maschinenstickerei beschäftigt war, arbeitete sie von 1954 bis 1970 als Sekretärin. Ihre Mutter hatte sie in Balassagyarmat gedrängt Maschinscheiben zu lernen, das machte sich jetzt bezahlt. Von 1970 bis 1995 betrieb sie außerordentlich erfolgreich die Partneragentur Hedi Fischer Marriage Friendship Agency, zunächst als „Schadchen“, die typische Bezeichnung für eine jüdische Heiratsvermittlerin, in der Folge jedoch auch für christliche Kunden. Ihr enormer Erfolg repräsentierte sich mit Filialen in Paris, Antwerpen, Düsseldorf, Zürich, New York und Tel Aviv.
Sie veröffentlichte 1993 darüber ein erfolgreiches Buch "Matchmaker Matchmaker".
Hedi Fischer setzte sich 1995 zur Ruhe (hier zu sehen mit Prinz Andrew). Sie hinterließ ihre Lebenserinnerungen in den 1990er Jahren in einem Interview für das
Visual History Archive der USC Shoah Foundation. Hedi Fischer starb als hochangesehenes Gemeindemitglied am 15. Oktober 2020.