Ilona Blime Netzers Vater Adolf Abraham Netzer (*1890) besuchte mutmaßlich um 1910 die berühmte orthodoxe Jeschiwa in Vac (Waitzen) nahe Budapest, die von Rabbi David Yehuda Silbershtain geleitet wurde. Die Jeschiwa in Vac besuchte er offenbar aufgrund der Verbindung mit dem Gemeinderabbiner von Balassagyarmat, Josef Israel Deutsch, dem Schwiegersohn von Rabbi Silbershtain. Abraham Netzer lernte in Vac eine der sechs Herzfeld-Schwestern, Ilona Blimes Mutter Ernstztin Ester Fradel Herzfeld (*1893) kennen und das Paar heiratete um das Jahr 1912/13. In Balassagyarmat wurden dem Paar acht Kinder geboren, fünf Mädchen und drei Buben.
Eines dieser Mädchen namens Piroska Netzer (*1923) wurde bei einer Zwillingsgeburt am 26. Juni 1923 gleichzeitig mit dem weiter unten genannten Mendi Netzer geboren, verstarb aber bereits als Kleinkind am 21. November 1924.
Ein weiteren Mädchens namens Rifka Aranka Netzer (*1918) starb mit gerade einmal 20 Jahren am 2. August 1938.
Shoah
Ilonas Bruder Salomon Schlomo Netzer (*1916) wurde Religionslehrer und reiste am 16. Februar 1938 in die Schweiz aus, wo er zuerst in Zürich und danach in verschiedenen Flüchtlingslagern sowie in der Heilstätte Etania den Holocaust überlebte. Er wanderte später nach Israel aus und starb dort 1991.
Ilona Blime Netzer wurde am 27.12.1919 als viertes von acht Kindern in Balassagyarmat geboren, wo sie eine Volksschule und eine höhere Mädchenschule besuchte und nebenbei eine Ausbildung zur Kindergärtnerin absolvierte. Sie kam ihren später geäußerten eigenen Angaben gemäß bereits 1937 als Au Pair Mädchen in die Schweiz. Nach Beginn des zweiten Weltkrieges 1939 blieb sie in der Schweiz, wurde jedoch nicht als Flüchtling anerkannt, da Ungarn zu dieser Zeit noch als souveränes und sicheres Herkunftsland galt. Der VSIA bot ihr im November 1939 an die Rückreise nach Ungarn zu finanzieren, was sie jedoch ablehnte und stattdessen illegal in der Schweiz blieb. Einen illegalen Flüchtling konnte und wollte jedoch die Flüchtlingshilfe laut einem Schreiben 10.01.1940 nicht unterstützen. Die Zeit ihres illegalen Aufenthaltes konnte Ilona in Zürich bei Familie Rosenblatt in der Gartenstraße 17 verbringen. Nachdem dann Ungarn seit 1941 offizieller Bündnispartner Nazi-Deutschlands war und eine Abschiebung nach Ungarn, nunmehr Kriegsteilnehmer, nicht mehr unmittelbar befürchtet werden musste, meldete sich Ilona bei der Züricher Polizei unter Angabe einer vorgetäuschten, angeblich erst am 16.September 1942 erfolgten Einreise aus Frankreich, wo sie angeblich bei einem ominösen und nicht existenten Onkel namens David Herschgold in Lyon gewohnt hätte und aus Frankreich geflohen sei, da sie ihre Deportation befürchtete.
Am 22.01.1943 hatte sie einen ausführlichen Fragebogen über ihre Lebensumstände auszufüllen. In einer von der eidgenössischen Polizeiabteilung am 28.01.1943 erstellten Liste der in letzter Zeit in die Schweiz gelangten Flüchtlinge, auf der auch Ilona Netzer aufscheint, wurde deren Ausschaffung als nicht tunlich erkannt und die Einweisung in Internierungslager verfügt. Ilona Netzer wurde also interniert und aufgrund ihrer Mittellosigkeit in das Hilfsprogramm des VSIA aufgenommen.
Am 05.05.1943 wurde sie im Flüchtlingslager Adliswil auch erkennungsdienstlich erfasst.
Nach der Internierung der gelernten Kindergärtnerin in verschiedenen Flüchtlingslagern trat sie von 26.01.1944 bis 15.06.1944 als Haushaltshilfe in ein privates Dienstverhältnis bei Familie Rabinowitsch in Zürich. Im August 1944 erkrankte sie an Tuberkulose und wurde nach einem kurzen Aufenthalt in einer Klinik im Wallis (Monthey) am 14.09.1944 nach Davos in die Heilanstalt Etania überstellt, wo sie Max Günsberg kennenlernte.
Nachdem die Krankenkasse die Unterbringung in der Heilanstalt für Ilona nur bis 15.12.1945 zu zahlen bereit war, sie aber laut ärztlichem Attest im Heilklima von Davos bleiben sollte, und ja auch ihr Mann Max Günsberg "Kränkeren als er" Platz machen musste, übersiedelte das Paar gemeinsam in das Haus Rose in Davos. Die Kosten für die Unterbringung wurden vom VSJF (der VSIA war 1943 umbenannt worden), aber teilweise auch von der Fremdenpolizei getragen.
Aus einem Befund des Züricher Arztes Dr. Behrens vom 30.12.1946 geht Blime Netzer-Günsberg als „außergewöhnlich sensible“ Patientin hervor und am 14.01.1947 ging er auf ihren nach wie vor „präkeren Gesundheitszustand“ ein. Dieser Zustand war erheblich den vernommenen Nachrichten geschuldet, wonach 1944 ein Teil ihrer vielköpfigen Familie ermordet worden war.
Blime heiratete 1946 im Schloss Hilfikon ihren Max. Nach dem Krieg bekam das Paar in Mailand 1952 und 1954 die zwei Buben Alexander und Georg. Ab 1954 lebte die Familie in Wien, die Ehe wurde jedoch 1959 wieder geschieden. Danach ging Blime Netzer-Günsberg wieder in die Schweiz und heiratete dort David Neufeld, diesem Paar wurde ein Kind namens Norbert geboren. Blime Neufeld starb 2003 in Zürich.
Erszebet war blond und attraktiv und sah „arisch“ aus. Zudem kannte sie einen Beamten in einem Ministerium, der für Arier-Nachweise zuständig war und gefälschte Dokumente ausstellte. Sie besorgte daher unter anderem für sich und ihren Mann Mor Buchinger aber auch für unzählige andere solche Dokumente. Mit diesen gefälschten Identitäten konnten sich sie und ihr Mann auch ohne den gelben Judenstern frei bewegen. Ende Juli 1944 erreichte sie eine Nachricht, wonach sich 15 junge Männer während der Räumung des Ghettos von Balassagyarmat Anfang Juni 1944 im Keller der "Schul" (Lehrhaus für Tora-Studien) in einem geheimen Hohlraum hinter dem Ofen der dort gelegenen Mazze-Bäckerei versteckt hatten. Ausgerechnet die Schul über diesem Keller hatte jedoch die Gestapo bezogen und sie konnten nicht mehr aus ihrem Versteck. Erszebet ließ es sich nicht nehmen die gefährliche Rettung dieser Männer zu versuchen und reiste mit der Bahn nach Balassagyarmat. In mehreren Transporten konnte sie auf diese Weise tatsächlich 12 dieser Männer, allerdings jeweils nur einzeln, um dann als unverdächtiges Liebespaar mit den gefälschten Ausweisen davon zu spazieren, retten. Beim letzten dieser Transporte, bei dem sie die verbliebenen drei Männer zugleich retten wollte, flog sie durch einen unglücklichen Zufall jedoch auf, wurde verhaftet und danach in ein Gefängnis nach Budapest überstellt. Es gab darüber zahlreiche Zeitungsberichte, da sich die Männer erfolgreich wochenlang in einem geräumten Ghetto verstecken und dem Zugriff der Deutschen entziehen konnten und die zunächst erfolgreiche Rettung aus dem Keller direkt unter den Augen der Gestapo war abenteuerlich. Erszebet wurde auch verdächtigt der kommunistischen Partei anzugehören und sie wurde in diesem Zusammenhang gefoltert und misshandelt. Dies führte zu einer Nierenentzündung, an der sie schlussendlich am 29. März 1945 im Gefängnis in Budapest starb.
Ihr Witwer Mor Buchinger hinterließ diese Geschichte in seinen Lebenserinnerungen in den 1990er Jahren in einem Interview für das Visual History Archive der USC Shoah Foundation.
Ilonas Bruder Jenó Eugen Menachem Mendi Netzer (*1923, Zwillingsgeburt mit Piroska Netzer, die aber bereits 1924 starb) besuchte in Balassagyarmat vom sechsten bis zum zwölften Lebensjahr eine jüdische Volksschule, danach noch zwei Jahre eine weitere jüdische Schule bei den Großeltern Herzfeld in Vac. Daran anschließend besuchte er in Budapest eine 4-jährige Sekundarschule, die er aber mit einer Sonderprüfung nach nur eineinhalb Jahren abschloss. Nebenbei arbeitete er offenbar auch bereits als Vertreter für die Budapester Firma von Aladar Rabinek, dem Mann seiner Tante Dr. Piroska Herzfeld, die Artikel für die Chemische Industrie herstellte.
Bereits 1938 folgte er illegal, wahrscheinlich gemeinsam mit seinem oben genannten älteren Bruder Salomon, deren Schwester Blime in die Schweiz und verbrachte dort einige Zeit in Zürich, Basel und Baden, um schließlich bis März 1940 in Montreux die Jeschiwa Etz Chaim zu besuchen. Am 17. Mai 1940 wurde er jedoch von der Polizei aufgrund des nicht gültigen Aufenthaltstitels aufgegriffen und festgenommen und danach in verschiedenen Lagern interniert. Die Schweizer Behörden bemühten sich laut dem überlieferten Schriftwechsel unfassbar beharrlich um die "Ausschaffung" nach Ungarn. Dies war jedoch aufgrund des mittlerweile abgelaufenen ungarischen Reisepasses nicht ohne weiteres möglich und es dauerte mehr als ein halbes Jahr bis Mendi Netzer nach Ungarn zurückkehrte.
Von 1941 bis 1944 war er erneut in Budapest um bei seinem Onkel Rabinek als Vertreter zu arbeiten. Von März 1944 bis Oktober 1944 wurde er zwangsweise zum Dienst in der ungarischen Armee in Kislahasa und Ujpest verpflichtet. Im Oktober 1944 wurde er den deutschen Besatzern übergeben und in das KZ Mauthausen sowie später nach Gunskirchen deportiert, wo er bis zur Befreiung im Mai 1945 verblieb.
Nach dem Krieg betrieb er von 1945 bis 1947 in Budapest mit Freunden die Handelsagentur Rübner & Co., die mit Italien und der Schweiz Handel betrieb. Rübner und Mendi stammten beide aus Balassagyarmat. Er heiratete am 12. Januar 1947 in Papa Judith Jutka Kraus.Um seiner Schwester Ilona und deren Mann Max Günsberg eine Existenzgründung in der Schweiz zu ermöglichen, sollte Max Günsberg für die Firma Rübner & Co die Vertretung für die Schweiz erhalten. Ende 1947 reiste Mendi erneut in die Schweiz und am 27.12.1947 weiter nach Mailand. Er wollte, seinen eigenen Worten zufolge, aufgrund der politischen Verhältnisse nicht mehr nach Ungarn zurückkehren und blieb in Italien. In Mailand besuchte er ein Musik-Konservatorium (Sänger) und arbeitete wieder als Vertreter. Er starb 1999.