Julianna Obermayr wurde am 05.02.1913 als Tochter von Franz Obermayr (1879-1951) und dessen Frau Maria, geborene Lederhilger (1879-1952), in Neukematen, Oberösterreich, geboren. Sie hatte eine Schwester Maria "Mizzi" (1903-1988) und drei Brüder namens Franz (1904-1967), Mathias (1906-1986) und Rudolf (1908-1982). Ein Bruder namens Friedrich verstarb bereits drei Monate nach der Geburt (1907), eine weitere Totgeburt eines Knaben, der Franz hätte heissen sollen, erlitt Maria Obermayr 1911.
Neukematen ist eine der ersten von lediglich neun evangelischen "Toleranzgemeinden" in Oberösterreich mit einer entsprechend ausgeprägten evangelischen Tradition, der auch die Familie Obermayr verbunden war und nach wie vor ist.
Ebenso traditionell ist die Verbundenheit der Familie Obermayr mit der Freiwilligen Feuerwehr Neukematen. Viele Familienmitglieder waren und sind nach wie vor mit und bei der Feuerwehr aktiv.
Die Familie Obermayr war Ende des 18.Jahrhunderts auf dem Brastelhubergütl vulgo Holzhieslgut, in Holzhäuser, einem Ort in der Gemeinde Wallern an der Trattnach, einer der anderen evangelischen Toleranzgemeinden, ansässig. Der Hof existiert heute noch im Ortsteil Winkeln.
Im 17. Jahrhundert war dieser Hof nach der Familie Prästelhübmer benannt, im Jahr 1775 erwarb Mathias Neumayr den Hof, woraus sich der Vulgoname Holzhieslgut ableitet (Mathias = Hias = Hiesl/Hiesel). Juliannas Urgroßvater Joseph Obermayr war 1836 Besitzer des Holzhieslgutes, verkaufte es jedoch 1848. Dessen Sohn und damit Juliannas Großvater Mathias Obermayr war noch auf dem Holzhieslgut am 3. Februar 1836 geboren worden, danach jedoch nach Gründberg bei Steyr gezogen, hatte hier eine Familie gegründet und Juliannas Vater Franz Obermayr kam 1879 bereits in Gründberg zur Welt.
Nach der Tradition seines Vaters Mathias Obermayr (1836-1894), der Zimmermann war, ging Franz Obermayr beim Tischlermeister Anton Hofer junior in Bad Hall von 1892 bis 1895 in die Lehre zum Bau- und Möbeltischler. Die Lehre konnte er erfolgreich beenden, wie aus seinem Lehrzeugnis vom 29.09.1895 hervorgeht. Seinem Vater Mathias war es jedoch nicht vergönnt, den Lehrabschluss seines Sohnes Franz noch zu erleben, er starb während dessen Lehrzeit am 17.03.1894 an einem Schlaganfall (übrigens nur wenige Tage nach Anna Lederhilger, die am 11.03.1894 gestorben war und im Sterbebuch unmittelbar vor seinem Vater eingetragen ist und eine Cousine von Franz´ späterer Frau Maria war).
Zwischen 1904 und 1906 brachte es Franz Obermayr auch zum Tischlermeister.
Am 21.Oktober 1903 wurde ihm, der zu diesem Zeitpunkt noch Tischlergehilfe war, und seiner noch nicht angetrauten Dienstmagd Maria Lederhilger ein Mädchen namens Maria/Mizzi Lederhilger (nach dem Namen ihrer Mutter) geboren. Erst danach, am 12.01.1904, konnten die beiden heiraten. Dass Erstgeborene zu dieser Zeit sehr oft unehelich geboren wurden, war der meist präkeren finanziellen Situation junger Paare geschuldet, die eine Hochzeit und einen gemeinsamen Haushalt vorerst nicht zuließ.
Nachdem dem Paar zwischen 1904 und 1908 in rascher Folge die drei Söhne Franz (nach dem Vater), Mathias (nach dem Großvater) und Rudolf geboren wurden, konnten Franz Obermayr und seine Frau Maria am 22.05.1911 in Neukematen einen Vierkanthof in der Katastralgemeinde Brandstatt mit der Adresse Brandstatt 13 mitsamt einer zugehörigen Viehhauswiese zum Preis von 6.200,00 Kronen erwerben. Nach heutigem (2023) Wert entspricht dies etwa EUR 43.000,00. Verkäufer waren Stefan Brandstetter (1861-1937) und seine Frau Anna Brandstetter, geborene Mitterlehner (1863-1944).
Familie Obermayr vor dem Hof Viehhaussölde in Neukematen, Brandstatt 13.
Von links nach rechts: die drei Brüder Mathias, Rudolf und Franz, Mutter Maria, Julianna sowie ihr Vater Franz. Der Mann rechts gehört nicht zur Familie.
Aufnahmedatem um 1920
Dieser damals noch strohgedeckte Hof namens Viehhaussölde wies bereits eine lange Hofgeschichte auf. Die Bezeichnung Viehhaus verweist auf Viehhaltung. Der Ausdruck Sölde stammt vom Wort Sold, einem Verdienst, ab. Es handelte sich ehemals also um einen Bauern mit Viehhaltung, der davon alleine jedoch nicht das Auslangen finden konnte und gezwungen war, einen weiteren Beruf auszuüben. Und bereits die erste Eintragung des Hofes im theresianischen Gültbuch von 1750 nennt einen Zimmermann namens Mathias Söllradl als Besitzer.
Der Tischlermeister Franz Obermayr richtete hier seine Werkstatt ein und führte demnach also eine alte Handwerkstradition an dieser Adresse fort. Das sollte sich auch in der Folge nicht ändern - seine Söhne wurden ebenso wie er Tischler und führten den Betrieb weiter. Schließlich trat auch sein Enkel Günther in seine Fußstapfen. Er führt bis heute den von seinem Großvater gegründeten Betrieb und ist als meisterhafter Restaurator und Schöpfer barocker Möbel weithin bekannt und dekoriert. Nach Stand von 2023 wird diese Tradition jedoch mit dieser Generation enden, derzeit ist kein Nachfolger in Sicht.
Familie Obermayr, ca. 1930
oben von links nach rechts: Franz - Rudolf - Mathias
unten von links nach rechts: Julianna - Maria - Franz - Maria "Mizzi"
Nachdem Maria Obermayr nur drei Wochen nach dem Kauf des Hofes am 14.Juni 1911 eine Totgeburt eines Knaben, der Franz hätte heissen sollen, zu verkraften hatte, kam schließlich am 5.Februar 1913 als letztes Kind des Ehepaares Obermayr die kleine Julianna zur Welt. Getauft wurde sie nach zwei ihrer Tanten: zum einen nach der Schwester ihrer Mutter, Juliana Wöhrer, geborene Grois, die erst zwei Tage zuvor in Neukematen als Minderjährige geheiratet hatte, und zum anderen entweder nach der Schwester ihres Vaters, Anna, die allerdings bereits im Säuglingsalter 1888 gestorben war, oder einer Schwester der Mutter namens Anna, die ebenfalls als Säugling 1886 verstorben war.
Aus der Kombination der beiden Namen "Juliana" und "Anna" ergibt sich jedenfalls der aufgrund des zweiten "n" recht ungewöhnliche Name "Julianna". Sie selbst war sich wohl selbst nicht ganz klar über die korrekte Schreibweise ihres Namens. Oftmals finden sich verschiedene Signaturen wie Juliana oder Julianne in den Unterlagen.
Interessant ist in diesem Zusammenhang zweierlei:
Julianna, das jüngste Kind von Franz und Maria Obermayr, war ihren eigenen Aussagen an ihre Tochter Gerlinde zufolge in ihrer Jugend in einen reichen Bauernsohn verliebt. Die damaligen gesellschaftlichen Gegebenheiten ließen jedoch die Verbindung einer einfachen Tischlerstochter mit einem Bauernsohn nicht zu.
Stattdessen sollte sich etwas später ein junger Techniker aus Wien namens Franz Mann um "Juli" Obermayr bemühen.
Franz Mann verfiel bereits in jungen Jahren, unmittelbar nach seiner Ausbildung zum Techniker, wie viele andere orientierungslose Jugendliche in den frühen 1930er Jahren, den Versprechungen populistischer Politiker wie Adolf Hitler. Bereits ab 1931 war er bei der SA (Schutzstaffel) aktiv. Im März 1933, also kurz nach Hitlers Ernennung zum deutschen Reichskanzler, trat er schließlich der NSDAP bei.
In Österreich versuchte die NSDAP kurz nach Hitlers Antritt zur Kanzlerschaft gewaltsam an die Macht zu kommen, blieb jedoch trotz etlicher Terroranschläge erfolglos und wurde deshalb am 20. Juni 1933 im damals austrofaschistischen Ständestaat verboten. Die NSDAP war also, allerdings nur in Österreich, von 1933 bis 1938 illegal.
Der Austrofaschismus war zwar wie der Nationasozialismus ebenfalls autoritär, bildete jedoch zu diesem ein christlich, vor allem katholisch getragenes Gegengewicht. Die nationalsozialistischen Anhänger und Funktionäre waren in Österreich jetzt im Untergrund tätig und schielten neiderfüllt nach Deutschland, wo die politischen Gegner, allen voran Kommunisten und Sozialisten, aber auch konkurrierende konservative Mitbewerber, ab diesem Zeitpunkt sukzessive und rasant eliminiert wurden und die Ausgrenzung von Juden bereits begann.
Aber auch nachdem die NSDAP als auch die SA verboten worden waren, war Franz Mann als "Illegaler" sehr umtriebig.
Seine diesbezüglichen NS-Aktivitäten konnten jedoch auf Dauer nicht unentdeckt bleiben. Im Mai 1935 musste er offenbar untertauchen um einer Verhaftung zu entgehen. Zu diesem Zweck fuhr er nach Oberösterreich, das, vor allem in Linz und Wels, während der Verbotszeit als Bastion der NSDAP galt. Im kleinen Ort Thanstetten, Hilbern 32, fand er Unterschlupf. Ob Franz Mann aufgrund familiärer Bande oder durch Freunde/Bekannte dorthin kam, ist nicht bekannt.
Nach etwa einem Jahr, in dem er wohl darauf bedacht war nicht aufzufallen, wurde er wieder aktiv: durch das das sogenannte "Juliabkommen" von 1936 zwischen Hitler-Deutschland und dem österreichischen Ständestaat war die NSDAP in Österreich zwar weiterhin verboten, ihre straffällig gewordenen Parteigänger wurden jedoch amnestiert und weitgehend handlungsfähig. Im Sommer 1936 suchte Franz Mann daher wieder Anschluss an die NSDAP und fand diesen im Nachbarort Neukematen in der Ortsgruppe Neukematen/Piberbach. Jetzt war er also erneut, wenn auch nach wie vor illegal aber jedenfalls amnestiert, Parteimitglied.
Und hier kam er in Kontakt mit der Familie Obermayr aus Neukematen, die mit seinen Quartiergebern in Thanstetten (ebenfalls Obermayr) weitläufig verwandt war.
Juliannas Brüder Mathias und Rudolf Obermayr waren ebenso wie Franz Mann zu Beginn der 1930er Jahre den Ausführungen Adolf Hitlers gefolgt. Schon sehr früh traten Sie der NSDAP in Österreich bei.
Nachdem er bereits im Juli 1932 bei der Sturmabteilung SA aktiv geworden war, erfolgte Rudolf Obermayrs Beitritt zur NSDAP am 01.08.1932 und damit bereits bevor Adolf Hitler im Jänner 1933 deutscher Reichskanzler wurde. Dadurch galt Rudolf Obermayr wahrscheinlich als sogenannter "alter Kämpfer" mit entsprechenden Vergünstigungen.
Sein Bruder Mathias Obermayr folgte seinem Beispiel und trat am 11.03.1933 der NSDAP bei. Durch den späteren Beitritt nach Jänner 1933 hatte er in der Partei wohl nicht die gleiche Reputation wie sein Bruder Rudolf.
Anders als Franz Mann, der als Illegaler in Österreich blieb, flüchteten Rudolf und Mathias Obermayr gemeinsam am 12.August 1933 nach dem Verbot der NSDAP in Österreich (20.06.1933) wie ca. 9.000 - 15.000 Parteigenossen nach Deutschland und gehörten dort der "österreichischen Legion" an. Diese aus Exil-Österreichern bestehende paramilitärische Einheit strebte den raschen, auch gewaltsamen, Anschluss Österreichs an das deutsche Reich an.
Die Entscheidung der Obermayr Brüder zu flüchten und sich der Legion anzuschließen ist nachvollziehbar - nach der Vorstellung vieler österreichischer Protestanten sollte durch die Vereinigung mit dem "Mutterland der Reformation" der Protestantismus auch in Österreich wesentlich gestärkt werden.
Nach dem Juliabkommen von 1936 konnten die beiden Brüder wieder nach Österreich einreisen. Zuvor wären sie bei einer Einreise wohl umgehend verhaftet worden, da ihnen die österreichische Staatsbürgerschaft nach ihrer Flucht aberkannt worden war und sie nur einen deutschen Flüchtlingspass besaßen. Bei der nun wieder aktiven Ortsgruppe Neukematen/Piberbach lernten sie den aus Wien geflüchteten Franz Mann kennen.
Und es sollte nicht lange dauern, bis Franz Mann aufgrund dieser Verbindung mit der Schwester von Mathias und Rudolf, Julianna, in Kontakt kam.
Ob Franz Mann die Aufsicht über die Kasse der NSDAP Ortsgruppe von Thanstetten bei der Beschaffung seines Motorrades 1937 zugute kam entzieht sich ebenso meiner Kenntnis wie das Wissen um die dafür nötigen Geldmittel als Langzeitarbeitsloser. Dass das Milch- und Buttergeschäft seiner Mutter die entsprechenden Erträge abwarf darf bezweifelt werden.
Franz Mann und seine Juli mit dem kurz zuvor erworbenen Motorrad vor dem Garten der Familie Mann in 1130 Wien, Ober St. Veit, Am Meisenbühel, im Jahr 1937. Den Angaben ihrer Tochter Gerlinde zufolge war es zumindest für Juli nicht unbedingt die große Liebe. Das jedenfalls hatte sie Gerlinde später anvertraut. Ein großes Abenteuer war es für sie jedoch allemal, da sie wohl kaum zuvor in eine Großstadt wie Wien gekommen war.
Nach dem Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland am 12. März 1938 und dem damit verbundenen Umbruch, der die Nationalsozialisten aus der Illegalität praktisch über Nacht an die Schalthebel der Macht katapultierte, wurde Franz Mann vorerst zum Gemeindewahlleiter und organisierte in dieser Gemeinde wohl auch die Volksabstimmung über den Anschluss Österreichs an das deutsche Reich am 10.04.1938, die den Anschluss nachträglich legitimieren sollte. Zudem führte er nach seinen Angaben eine eigene Ortsgruppe und auch die Ortskasse in Thanstetten, die später jedoch nicht als Ortsgruppe, sondern lediglich als Gemeindezelle geführt wurde.
Im Kreis der Familie Obermayr war Franz Mann gut aufgehoben. Es war offenbar eine NS Vorzeigefamilie. Ein wesentliches Argument dafür war wohl der katholisch geprägte österreichische Ständestaat (1934-1938), den Protestanten wie die Familie Obermayr oft als Periode der Unterdrückung empfanden und dadurch diese der NSDAP förmlich in die Arme trieb. Auch viele evangelische Geistliche unterstützten den Anschluss Österreichs und waren Anhänger des Nationalsozialismus, wie zum Beispiel der damalige oberösterreichische Superintendent Hans Eder.
Das Bild dürfte 1938/39 entstanden sein:
Alle männlichen Familienmitglieder tragen das NSDAP Abzeichen am Revers:
Die NS-Gesinnung lässt nur bedingt Rückschlüsse auf den Charakter zu: so wie Franz Mann mir [Gerhard Günsberg] ein liebevoller Großvater war, waren auch meine Großonkel Rudolf und Mathias die liebsten Onkel, die man sich vorstellen kann.
Nachdem Franz Mann zuvor zur evangelischen Glaubensgemeinschaft übergetreten war (das war offenbar Bedingung für die Verehelichung) heiratete Julianna Obermayr am 5.Juni 1938 ihren Franzl in der Pfarrkirche von Neukematen.
Als Trauzeugen fungierten, wie könnte es anders sein, Juliannas Brüder Mathias und Rudolf, durch die diese Verbindung ja erst möglich geworden war.
Mitte Juli 1938 trat Karl Steyrleitner die Nachfolge von Franz Mann als kommissarischer Leiter der NSDAP-Ortsgruppe Sierning (Thanstetten) an. Daraufhin kehrte Franz Mann mit seiner frisch angetrauten Julianna nach Wien in die Wohnung seiner Mutter in der Marokkanergasse 1 zurück.
Ihren eigenen Aussagen nach war das Verhältnis zu ihrer Schwiegermutter Betty Mann nicht eben einfach. Betty Mann hatte sich ganz sicher, typisch für eine Sohnesmutter, kein Mädchen vom Land als Schwiegertochter vorgestellt. Dementsprechend hatte Julianna wohl nicht viel bei der Schwiegermutter zu lachen.
Während des gesamten Krieges war Franz Mann UK gestellt, also vom Kriegsdienst befreit, da er in einem kriegswichtigen Rüstungsbetrieb arbeitete, im Gegenzug jedoch wichtige Parteifunktionen als Blockleiter und später als Zellenleiter bekleidete. Gegen Ende des Krieges wurde Franz Mann lediglich zum sogenannten Volkssturmaufgebot einberufen, aber auch da kam ihm seine UK Stellung zugute und er konnte sich wohl meist aus gefährlichen Situationen heraushalten.
Dies im Gegensatz zu seinen beiden Schwagern Mathias und Rudolf Obermayr, die beide einrücken und Kriegsdienst versehen mussten.
Nicht lange nach Beginn des deutschen Angriffes auf Polen (10.09.1939, Beginn des zweiten Weltkrieges) wurden Juli und Franzl Mann erstmals Eltern: am 3.Jänner 1940 kam die kleine Gerlinde Mann im Brigittaspital im 20. Bezirk, Stromstraße 34, zur Welt.
Stolz und mondän zeigte sich die frischgebackene Mama mit ihrer kleinen Tochter bei der in der Pauluskirche im dritten Wiener Gemeindebezirk erfolgten Taufe am 3.März 1940.
Die bei der deutschen Wehrmacht eingerückten Brüder von Juli waren während des Krieges bei der Familie Mann zu Besuch:
Mathias Obermayr im Garten der Familie Mann in Ober St. Veit im Juli 1943. Er war bei der Schlacht um Stalingrad 1942/43 im Einsatz. Bei einem Stellungswechsel wurde er in gehockter Stellung von einer Gewehrkugel im Knie getroffen, die Kugel blieb in der Hüfte stecken und konnte in der Folge nicht gefahrlos entfernt werden. Daher musste er zeitlebens am Stock gehen. Er trägt hier neben einem Ehrenwinkel am linken Ärmel auch das Ordensband Eisernes Kreuz II. Klasse, das er aufgrund seiner Verwundung erhalten hatte.
Mathias Obermayr bei der gleichen Gelegenheit mit seinem Schwager Franz Mann, der hier wahrlich zum Fürchten und äußerst unsympathisch aussieht.
Mathias Obermayr war zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich aufgrund seiner Verwundung dienstfrei gestellt.
Mathias Obermayr mit seiner Schwester Julianna und seiner Nichte Gerlinde, Juli 1943.
Rudolf Obermayr, im Sommer 1941, ebenfalls mit der kleinen Gerlinde Mann.
Julianna während des Besuchs ihres Bruders Mathias im Juli 1943 vor dem Gartenhaus in Ober St. Veit. Das abgebildete Kästchen vor dem Gartenhaus gab es noch, als ich [Gerhard Günsberg] das Grundstück 2004 verkaufte.
Ende 1943/Anfang 1944, gerade noch rechtzeitig vor dem ersten Bombenangriff auf Wien am 17.03.1944, brachte Franz Mann seine Frau und seine kleine Tochter Gerlinde bei der Familie in Neukematen in Sicherheit. Er selbst kehrte, als in seinem Betrieb kriegswichtig angesehener UK (unabkömmlich), wieder nach Wien zurück.
Das Ende des Krieges stellte die NSDAP Angehörigen der Familie vor große Herausforderungen: die rote Armee war im Umgang mit Nationalsozialisten wenig zimperlich angesichts der Behandlung ihrer Kameraden nur einige Jahre zuvor, als die deutsche Wehrmacht während des Russland-Feldzuges russische Kriegsgefangene hunderttausendfach auf offenem Feld erfrieren und verhungern ließ. Dies ganz abgesehen von den Greueln, die die deutschen Einsatzgruppen im Rücken der Front an der russischen Zivilbevölkerung verübten.
Entsprechend pessimistisch waren die Erwartungen, die man an einen russischen Einmarsch knüpfte. Das Kremstal war genau im Schnittbereich des amerikanischen Vormarsches von Westen und der russischen Dampfwalze, die von Osten heranrückte, und Mathias und Rudolf Obermayr wussten nicht, ob sie den Russen in die Hände fallen würden. Aus diesem Grund gruben sie in ihrer Verzweiflung im Rübenkeller des elterlichen Hofes in Neukematen ein geheimes Versteck, in dem sie die letzten Kriegstage abwarten konnten. Tatsächlich kam der russische Vormarsch jedoch kurz vor dem Kremstal zu stehen und Neukematen wurde Teil der amerikanischen Zone.
Franz Mann hingegen, der ja in Wien verblieben war, erlebte den russischen Einmarsch.
Familieninterne Gerüchte aus meiner Kindheit besagten, dass er nach dem Einmarsch der roten Armee in Wien von russischen Soldaten "an die Wand gestellt" und mit der Erschießung bedroht worden sei. Offensichtlich war er demnach entgegen seinen späteren Beteuerungen in seinem Umfeld ein alles andere als unbeschriebenes Blatt, wie sonst hätten die Besatzer von seiner Stellung und Tätigkeit als NSDAP-Funktionär Kenntnis erlangt. In seiner bzw. der Wohnung seiner Mutter in der Marokkanergasse 1 waren ja bereits in den Zeiten der Illegalität Nazis und SA-Männer ein- und ausgegangen. Da ich [Gerhard Günsberg] meinen Großvater noch kennenlernen durfte, ist er der Erschießung jedenfalls entgangen.
Nach Kriegsende war Österreich in Besatzungszonen aufgeteilt und das Reisen zwischen den Zonen war schwierig. Eine der der wenigen akzeptierten Reisebegründungen waren Familienzusammenführungen. Auf diese Weise konnte Franz Mann am 25. Mai 1945, also bereits kurz nach der bedingungslosen Kapitulation Hitler-Deutschlands (08.05.1945), von der sowjetischen Zone, zu der der dritte Wiener Bezirk gehörte, in die amerikanische Zone zu seiner Frau und deren Familie in Neukematen in Oberösterreich reisen. Und dort verbrachte er dann auch den Sommer, wahrscheinlich um der möglichen Strafverfolgung und einer "Sonderbehandlung" durch russische Besatzer (siehe oberhalb) zu entgehen.
Mit dem Abtauchen in Oberösterreich hatte er ja schon vor dem Krieg 1935/36 gute Erfahrungen gemacht.
Er kehrte samt Julianna und der 5-jährigen Tochter Gerlinde erst im September wieder nach Wien zurück. Zu diesem Zweck musste natürlich auch Juli einen Identitätsausweis bekommen, um die Besatzungszonengrenze überqueren zu können.
Die Wohnung der Familie Mann im dritten Bezirk, Marokkanergasse 1, sollte für Julianna nunmehr dauerhaft für viele Jahrzehnte ihr Zuhause werden.
Nicht lange nach dem Krieg erblickte am 18.Februar 1946 ein neuer Erdenbürger das Licht der Welt und auch seine Eltern Franz und Julianna. Und natürlich erhielt auch deren Sohn einen strammen, nordisch-germanischen Vornamen - Gerhard.
Auf dem Foto (ca. 1950) ist Juliannas Mutter Maria mit ihren Enkeln zu sehen, darunter die Kinder von Julianna, Gerlinde (ganz links) und Gerhard (zweiter von rechts).
Am 13.Februar 1951 starb Juliannas Vater, der Tischlermeister Franz Obermayr. Das Foto links zeigt ihn mit seiner Enkelin, der Tochter von Juliannas Bruders Mathias und damit Juliannas Nichte. Die Aufnahme stammt etwa von 1949/1950.
Juliannas Mutter Maria Obermayr pflegte daraufhin wahrscheinlich noch intensiver als zuvor den Kontakt zur Wiener Verwandtschaft. Am 15. Mai 1951 schrieb sie einen Brief (Transkript am Ende) an ihre Tochter Julianna, in dem sie sich für übersandte Geschenke bedankte und nach der in Wien lebenden Cousine von Maria Obermayr, Anna Schor, erkundigte, die ja offenbar auch die Taufpatin von Juliannas Sohn Gerhard war. Weiters nahm sie Bezug auf die angespannte finanzielle Lage von Juliannas Bruder Franz, der zu dieser Zeit offenbar ein Obst- und Gemüsegeschäft betrieb.
Nicht lange danach hatte Juiianna am 17.Mai 1952 auch noch den Tod ihrer geliebten Mutter Maria zu beklagen. Maria Obermayr war offensichtlich erkrankt und musste mit ihrem Tod in absehbarer Zeit rechnen. Einige Monate zuvor schrieb sie den nebenstehenden Text für ihre Kinder und Kindeskinder nieder. Ihre Tochter Julianna hielt dieses schriftliche Vermächtnis ihrer Mutter stets in Ehren.
Die "Hohe Nacht der klaren Sterne" ist ein populäres Weihnachtslied aus der Zeit des Nationalsozialismus, das christlich inspirierte Andeutungen weitgehend vermeidet, damit Identifikationspotential für fast jedermann bietet und auch nach der NS-Zeit noch weit verbreitet war.
Nur zwei Wochen vor ihrem Tod schrieb sie am 2. Mai 1952 noch einen letzten Brief (Transkript am Ende) an ihre Tochter Julianna. Offenbar war sie jedoch bereits geschwächt, da ihr Sohn, Juliannas Bruder Mathias den Brief beenden musste.
Voll Freude berichtete sie von der am selben Tag, dem 2. Mai 1952, erfolgten Geburt eines "Stammhalters" für Mathias und seine Frau Wetl (Barbara). Die von Mathias geschriebene Fortsetzung des Briefes sprach unter anderem von der seit 21.04.1952 grassierenden Maul- und Klauenseuche und der unerwartet raschen Geburt seines Sohnes Günther Obermayr.
Ich erinnere mich, dass auf Juliannas Nachtkästchen bis an ihr Lebensende ein Portraitfoto ihrer Mutter Maria seinen Platz hatte.
Nur wenige Monate später schloss am 10.November 1952 auch Juliannas ungeliebte Schwiegermutter Betty Mann für immer ihre Augen. Nach dem Tod von Franzls Mutter gab es kaum mehr Bindungen nach Wien. Also verlagerte sich das familiäre Geschehen noch mehr als zuvor zu Juliannas Familie nach Neukematen. Dem entsprechend finden sich unter den Familienfotos der 1950er Jahre praktisch ausschließlich Fotos aus Neukematen.
Die Tante Juli aus Wien war fortan Stargast am Hof in Brandstatt 13. Nach den Erinnerungen ihrer Nichten und Neffen wurde das Haus vor ihrem Besuch jeweils von oben bis unten grundgereinigt. Juli und ihr Franzl hatten natürlich auch ein eigenes Zimmer, das immer für sie bereitstand. Franzl, der Herr Ingenieur, baute mit Hilfe seiner Schwager nicht lange vor seinem Tod sogar einen kleinen Balkon an dieses Zimmer, das Baumaterial wie Träger und Traversen stammte wohl von der Stahlbaufirma Knotz, seinem Arbeitgeber. Auch in seinem Garten in Ober St.Veit fand sich stets genug davon.
Eine Rundreise zu allen Verwandten in erreichbarer Nähe von Neukematen war bei ihren Besuchen obligatorisch, ebenso durften sich sämtliche Kinder in der Verwandtschaft über Mitbringsel der Wiener Tante freuen.
Die Rolle der "Frau Ingenieur" behagte ihr sichtlich. Bei mehr als einer Gelegenheit durfte ich erleben, wie sie Verkaufspersonal in diversen Geschäften äußerst herablassend behandelte und ich mich dafür in Grund und Boden schämte. Mutmaßlich stammte diese Verhaltensweise auch noch aus ihrer Zeit als "Frau Zellenleiter", wohl einer Respektsperson, siehe die NS-Karriere von Franz Mann. Obwohl sie also unmittelbar als Tochter einer nationalsozialistischen Familie und Frau eines NS-Funktionärs vollkommen in das NS-Regime eingebettet war, verlor sie weder gegenüber ihren Kindern Gerlinde und Gerhard noch mir gegenüber je auch nur ein einziges Wort darüber. Julianna und Franz Mann sowie der Rest der Familie hatten darüber offenbar eisernes Stillschweigen vereinbart, das sie auch bis an ihr Lebensende beibehielten.
Ich als ihr einziges Enkelkind bekam jedenfalls viel Zeit und Zuneigung von meiner Großmutter.
ca. 1949 in Neukematen, von links nach rechts: Barabara Obermayr mit Tochter Traude und ihrem Mann Mathias Obermayr, Julianna mit Sohn Gerhard und Tochter Gerlinde Mann, Rudolf Obermayr und Franz Mann
ca. 1948 in Neukematen, Brandstatt 13, von links nach rechts: Maria Obermayr, Rudolf Obermayr mit unbekanntem Hund, Gerlinde und Julianna Mann, Traude mit ihren Eltern Barbara und Mathias Obermayr und namentlich nicht bekanntem Geflügel
ca. 1948 in Neukematen, Familie Mann
ca. 1948 in Neukematen, Familie Mann
1959 im ehemaligen Restaurant Fallafus, 1080 Wien, Alserbachstraße 33, von links nach rechts: zwei unbekannte Damen, Julianna, Gerlinde und Franz Mann
Julianna Mann im Juli 1960 am Klippitztörl
Durch den frühen Tod ihres Franzl am 19. November 1970 wurde Julianna bereits mit 57 Jahren zur Witwe.
Avancen von Verehrern wies sie danach konsequent ab. Stattdessen konzentrierte sie sich auf ihre Kinder Gerlinde und Gerhard, die nicht immer ganz freiwillig gewisse Aufgaben und Pflichten übernahmen. Ich kann mich erinnern, dass Julianna bis an ihr Lebensende niemals eine Überweisung, die Beantwortung eines behördlichen Schriftstückes oder ähnliches selbst zu erledigen bereit war.
Einzig Urlaub-Ansichtskarten verfasste sie selbst. Für mich damals unverständlich, angesichts ihres Aufwachsens in jungen Jahren im entsprechenden NS-Umfeld durchaus erklärbar, adressierte sie Karten nach Deutschland auch noch in den 1990er Jahren mit "D.R.", also Deutsches Reich.
Auch nach Franzls Tod fuhr Juli mehrmals pro Jahr nach Neukematen. Da sie selbst nie bereit war einen Führerschein zu erwerben um Auto fahren zu können, war sie auf die Bahn (Kurswagen nach Bad Hall) oder ihre Kinder angewiesen. Auch ich [Gerhard Günsberg] durfte sie wenige Tage nach Führerscheinerhalt nach Neukematen und wieder retour chauffieren.
Juliannas Schwiegersohn Max Günsberg war in den frühen 1970er Jahren einer der wenigen, die bereits bewegte Bilder statt Fotos aufnahmen, wenn auch damals noch ohne Ton. Und da Julianna nach dem Tod ihres Mannes bei praktisch jedem Urlaub dabei war, gibt es aus dieser Zeit einige kurze Szenen mit ihr.
Die Szenen zu Beginn zeigen auch noch ihren Franzl, der nur wenige Monate nach deren Aufnahme starb.
Nicht lange nach dem Tod ihres Mannes Franz Mann wurde Julianna krank und musste sich 1971 einer Gallenoperation unterziehen. Operiert wurde sie vom stadtbekannten Professor Fritsch, der ab diesem Zeitpunkt ihr absoluter Held war. Die darauf folgende Rekonvaleszenz verbrachte sie in der kleinen Wohnung bei meinen Eltern und mir im 20. Bezirk, Brigittagasse 18/13. Sie bekam mein Bett und ich durfte dafür ein Campingbett beziehen, was für mich keinen Verzicht, sondern ohnehin Abenteuer und Abwechslung bedeutete. Aber auch als sie längst gesund war kam sie nicht auf den Gedanken wieder in ihre eigene Wohnung zurückzukehren. Erst auf mehr oder weniger sanften Druck ihrer Tochter Gerlinde verließ sie uns widerwillig.
Zum Ausgleich dafür war es in den Folgejahren jedoch praktisch unmöglich einen Urlaub ohne sie anzutreten. Diesbezüglich hatte sie ihre Tochter fest im Griff. Nach dem Tod von Gerlindes erstem Mann Max Günsberg im Jahr 1976 zog sie "zum Trost" für Gerlinde ob des schweren Verlustes ungefragt bei uns in der Anton-Kriegergasse 142 ein und dachte auch nach Monaten nicht im Traum daran wieder auszuziehen, das Spiel von einigen Jahren zuvor wiederholte sich.
Anläßlich eines gemeinsamen Urlaubes mit Gerlinde versuchte Juli sogar ihre damals bereits fast 40-jährige Tochter im Zimmer einzusperren und ihr abendlichen Ausgang zu verbieten. Später sollte diese zwanghafte Mutter-Tochter-Beziehung Gerlinde sogar ihre zweite Ehe kosten, da Gerlindes zweiter Mann diesen Zustand nicht aushielt.
Gerlinde konnte sich bis zu Juliannas Tod nicht wirklich von ihrem geradezu manischen Pflichtgefühl ihrer Mutter gegenüber lösen.
In den frühen 1970er Jahren regte sich bei Juliannas Sohn Gerhard der Wunsch nach einem Hund. So erwarb er einen Boxer namens Bodo.
Es sollte jedoch nicht lange dauern bis seine Mutter Juli den Hund "erbte". Bodo musste eher als Partnerersatz denn als Haustier herhalten. Der süße Hund, der sehr lieb, aber tatsächlich so dümmlich war wie er auf dem nebenstehenden Bild aussieht, diente oft als Fusswärmer in ihrem Bett, das dadurch zu einem olfaktorischen Biotop mutierte (warum der Hund dort nicht erstickte ist rätselhaft), wurde kampfgekuschelt sowie regelmäßig als eigentlich schlanker und schwacher Esser zwangsgefüttert und war für seine daraus resultierenden Blähungen bekannt und gefürchtet.
Am 05.Februar 1993 feierte Julianna ihren 80. Geburtstag mit vielen Bekannten und Verwandten im mittlerweile nicht mehr bestehenden Gasthaus "Schwarzer Adler" in der Schönbrunnerstraße 40 im 5.Bezirk in Wien.
Juliannas Tochter Gerlinde konnte ihre Mutter Anfang der 1990er Jahre nach langem Zureden überzeúgen, die schwierig zu bewirtschaftende Altbauwohnung in der Marokkanergasse gegen eine moderne Wohnung zu tauschen, die für Gerlinde auch leichter erreichbar war als die Wohnung im dritten Bezirk. Eine Genossenschaftswohnung im 23. Bezirk, Mehlführergasse 2-16, sollte für einige Jahre ihr neues Zuhause werden.
Julianna Mann 1998 zu Besuch bei ihrem Enkel Gerhard Günsberg in 1230 Wien, Erlaaerstraße 12-16/2/7
Einem guten Tropfen niemals abgeneigt: Julianna Mann am 3.Juli 1999 beim Weinbauern Johann Bauer in Fels am Wagram. Beim Gehen schon ziemlich beeinträchtigt, ließ sie es sich dennoch nicht nehmen, den Weinkeller über eine steile Wendeltreppe zu inspizieren
Mit zunehmendem Alter und leider abnehmendem Gesundheitszustand war auch diese Wohnung schließlich für sie allein nicht mehr zu schaffen sodass sie, nach zahlreichen Krankenhausaufenthalten und der Weigerung der Krankenkasse für weitere Aufenthalte zu zahlen, 2003/2004 schließlich im Pflegeheim St. Barbara der Caritas im 23. Bezirk, Erlaaer Platz 4, Aufnahme fand.
Eines der letzten Fotos von Julianna zeigt sie anlässlich eines Krampusfestes im Pflegeheim der Caritas am 6.Dezember 2007 durchaus noch ganz frisch und munter. Obwohl sie mich und auch meinen Sohn Dominik zu dieser Zeit bereits mit schöner Regelmäßigkeit mit ihrem Neffen Günther Obermayr verwechselte
Julianna Mann starb am 26. Februar 2008 um 11:13 im Pflegeheim und wurde im Grab ihres Franzl am Friedhof Tullnerbach bei Wien beigesetzt.