Max Günsberg


Heilanstalt Etania, Davos (Graubünden)


Nachdem der Übertritt in den Höhenluftkurort Davos in die Heilstätte „Etania“ aufgrund der TBC-Erkrankung von Max Günsberg bewilligt worden war, kam er am 04.05.1944 aus dem [Umschulungslager Zürichhorn] dort an.

Die jüdische Heilstätte Etania in Davos, Richtstattweg 3, hatte 1919 eröffnet und wurde vom "Hilfsvereins für jüdische Lungenkranke in der Schweiz" (Sitz in Zürich) betrieben. Bereits kurz nach der Eröffnung wurde das Haus durch ein Lawinenunglück am 23.12.1919 großteils zerstört, es wurde jedoch wieder aufgebaut. Bereits im 19. Jahrhundert war Davos ein beliebtes jüdisches Reiseziel und ist es auch heute (2022) noch. Paradoxerweise suchten am Vorabend des zweiten Weltkriegs auch viele NSDAP Mitglieder in Davos Linderung für ihre Lungenkrankheiten Seite an Seite mit den jüdischen Kurgästen. Die Heilanstalt schloss ihre Pforten 1991. Das Gebäude stand danach einige Zeit leer, wird aber heute (2022) wieder genutzt und offenbar von orthodoxen Juden frequentiert.

Von dieser Anstalt konnte Max aber nichts Gutes gehört haben, vor allem die Verpflegung dort sei miserabel. Die Flüchtlingshilfe Davos hielt dagegen: "Wir wissen wohl, dass unsere Leute dort in der Etania Ansprüche stellen, die sie in keiner christlichen Heilstätte stellen würden.“

Max weigerte sich dennoch in die Etania zu gehen und war bereit die Differenz für ein anderes Sanatorium aus eigener Tasche aufzubringen. Aber sein Protest blieb erfolglos, am Donnerstag, den 04.05.1944 um 12:53, kam Max in Davos-Dorf an und rückte in die Etania ein.

Sein Zustand muss besorgniserregend gewesen sein, eine Anfrage des VSJF Zürich an die Davoser Kollegen vom 06.05.1944 spricht von „Gerüchten“ über die „Verschlechterung des Zustandes“. Vom Oberarzt der Heilanstalt, Dr. Geiger, wurde Max bereits bei einer Untersuchung anlässlich des Eintrittes am 4.Mai „offen bazillär“ beurteilt, also mit einer offenen beidseitigen Lungentuberkulose. Auch wurde mittels Tomographie eine Caverne in einem Lungenflügel festgestellt. TBC tritt häufig bei Migranten auf, zudem ist in der Enge von Flüchtlingsunterkünften die Ansteckungsgefahr besonders hoch. Und die Arbeit im Lager Locarno, die Max ja auch nach der Diagnose einer Lungenkrankheit weiter verrichten hatte müssen, verschlimmerte seinen Zustand ebenfalls ganz offensichtlich. Aber wenigstens hatte er hier in Davos endlich einmal Zeit, um beim Ehrenbold-Verlag in Davos-Platz Sammelalben als würdigen Rahmen für seine geliebten Autogrammkarten zu erwerben.
Der ursprünglich geplante Aufenthalt von drei Monaten reichte bei weitem nicht aus, in einem Attest des Chefarztes der Etania, Dr. Geiger, vom 06.07.1944 ist von weiteren 6-9 Monaten Aufenthalt und einer Pneumothoraxbehandlung die Rede. Die Krankenkasse wand sich in der Folge, übernahm aber in der Folge doch vorläufig die anfallenden Kosten. Am 26.09.1944 wurde sein bester Freund, Alois Klein aus Wien (die beiden waren schon zusammen in Diepoldsau), beim VSJF vorstellig und bemühte sich um einen monatlichen Zuschuss von SFR 20,00 an Max zur Befriedigung der dringendsten persönlichen Bedürfnisse. [Alois Klein verblieb übrigens nach dem Krieg in der Schweiz und betrieb mit seiner Frau Trudy ein Dirndl-Geschäft in Winterthur].Im VSJF kam es deshalb intern wohl zu lebhaften Diskussionen. Letztendlich wurde dem Antrag jedoch stattgegeben, am 16.10.1944 bedankte sich Max dann für die Zuwendung per Brief ausdrücklich beim VSJF.

Als die Krankenkasse die Finanzierung des Aufenthaltes per 04.11.1944 einstellen wollte schickte der behandelnde Arzt Dr. B. Galinsky ein weiteres Attest, in dem er nochmals die beiderseitige Lungentuberkulose und Zerfall von Lungengewebe links konstatierte. Am 31.01.1945 hätte Max „aus Platzmangel“ aus der Etania ausrücken sollen, sein Gesundheitszustand ließ das aber nicht zu. Am 03.05.1945 war dann nach einem vollen Jahr endgültig Schluss mit den Leistungen der Krankenkasse, sie sei vertraglich zu einer Maximalleistung von einem Jahr verpflichtet und stelle nun die Zahlungen ein. Wieder begann ein langwieriger Streit zwischen der Krankenkasse und dem VSJF um die weiteren Kosten, dessen endgültiger Ausgang jedoch in den Unterlagen nicht dokumentiert ist.
Im Mai 1945 kapitulierte Nazi-Deutschland, etwas entspanntere Zeiten zeichneten sich am Horizont ab. Aber Max Gesundheit spielte immer noch nicht mit. Laut einem Schreiben des VSJF vom 23.05.1945 fing sich der ohnehin schon an TBC erkrankte Max nun auch noch eine Rippenfellentzündung ein, diese überstand er aber ebenfalls.
Am 07.08.1945 bedankte er sich in einem Brief bei Frl. Ettlinger vom VSJF, diese hatte ihm einen Füllfederhalter geschickt. Und in diesem Brief, findet sich auch seine persönliche Diagnose, „warum meine Sache so lange dauert“. “Ich glaube nun, […] dass es an der Kost gelegen ist.“ [er hatte es ja schon von Beginn an gewusst!] Er berichtete von 20 neu angekommenen KZ-Insassen, die im Auffanglager Herisau bei weitem nahrhafter und besser gegessen hätten als hier im Sanatorium.
Da fühlte sich jetzt wieder die Flüchtlingshilfe Davos auf den Schlips getreten. In einer Stellungnahme an den VSJF Zürich meinte sie erstens, dass aufgrund der Eingabe erfreulicherweise der allgemeine Verpflegungssatz in der Etania heraufgesetzt worden sei. Und weiter:

"...zur Person des Herrn Ginsberg […], dass seine Beschwerden in keiner Weise berechtigt sind. Von der Tatsache abgesehen, dass er verpflegungsmäßig seit Monaten unter Sonderregime steht, und aufgrund von Zuwendungen aller möglichen Seiten die Möglichkeit hat, sich Dinge zuzuführen, wie es nur ganz wenige normale Patienten sich leisten können, lässt sein Appetit auch sonst erfreulicherweise absolut nichts zu wünschen übrig. […er] sich darüber hinaus aber auch ganz besonders lieb hat und sich […] mit nichts anderem denn analytischen Betrachtungen seines eigenen Verpflegungswesens befasst. Mehr haben wir dem nicht hinzuzufügen.“


Am 27.10.1945 erfolgte der formale Austritt aus dem Lager Zürichhorn, seine Schneiderlehre hatte er ja aufgrund seiner Krankheit seit Mai 1944 nicht abschließen können. Max´ Sparguthaben betrug nun immerhin schon SFR 54,00.

Am 01.01.1946 musste er in der Etania „Kränkeren als er“ Platz machen und war in der Folge in einer vom VSJF unterstützten Davoser Unterkunft, dem Haus Rose in der Scalettastraße 29 untergebracht. Die Kosten für die Unterbringung wurden vom VSJF (der VSIA war 1943 umbenannt worden), aber teilweise auch von der Fremdenpolizei getragen.

Max Günsberg in der Heilanstalt Etania


Max Günsberg mit den Brüdern Manes und Nathan Wilder

Max Günsberg mit unbekannten Freunden, die er seit seiner Zeit im Auffanglager Diepoldsau kannte


Aber es war beileibe nicht alles schlecht an dem Aufenthalt in der Etania.

Im Winter 1944/45 hatte Max in der Etania offenbar einen glühender Verehrer, wovon zahlreiche sehr persönliche Briefe zeugen. Bei diesem Verehrer handelte es sich um den Schriftsteller und Philosophen Marcell Pellich (eigentlich als Marcell Pellichower 1908 in Wien geboren), der bereits in der 1930er Jahren als maßgebliches Mitglied verschiedenen Wiener Künstlergruppierungen angehört und als Spezialist der Hegelschen Philosophie gegolten hatte und ebenso wie Max, allerdings schon seit seiner Jugend, an Tuberkulose litt und bald nach dieser Episode im Dezember 1945 in Zürich verstarb. Das Familienschicksal verband Max und Marcel augenscheinlich - auch die in Wien verbliebene Familie von Marcel Pellich (Vater Aron und die zwei Schwestern Rosa und Sabine) wurden ermordet, ebenso wie Max´ Familie.


Marcell Pellichs Bewunderung für Max blieb jedoch offenbar unerwidert, denn Max lernte zu dieser Zeit in der Etania auch seine erste Frau Ilona Blime Netzer kennen und lieben. Im August 1944 war sie an Tuberkulose erkrankt und wurde nach einem kurzen Aufenthalt in einer Klinik im Wallis (Monthey) am 14.09.1944 nach Davos in die Heilanstalt Etania überstellt, wo sie Max Günsberg kennenlernte.
Ihr Gesudheitszustand war zu einem erheblichen Teil den aus Ungarn vernommenen Nachrichten geschuldet, wonach ein großer Teil ihrer vielköpfigen Familie nach dem deutschen Einmarsch in Ungarn im März 1944 deportiert und ermordet worden war. Die Geschichte dieser Familie und auch Ilonas Flüchtlingsschicksal ist [hier] abrufbar.

Ilona Günsberg-Netzer

Ilona Günsberg-Netzer


Bereits gegen Ende des Jahres 1945 wurde, schon vor der zivilrechtlichen Trauung, in Zürich nach jüdischem Ritus geheiratet, obwohl dies nach Schweizer Gesetzen in dieser Reihenfolge nicht zulässig war. Man wollte aber nicht zuwarten, da Ilonas Bruder Mendi wieder nach Mailand reisen musste. Danach bemühten sich Max und Ilona auch um ihre standesamtliche Heirat. Voraussetzung dafür war jedoch eine Sicherheitsleistung von SFR 3.000,00, für mittellose Emigranten keine leichte Aufgabe. Nach einigen Schwierigkeiten erhielten sie von einem Onkel von Ilona, Hermann Armin Herzfeld, der die Handelsfirma Commercial Fur co. Ltd in London betrieb, am 24.05.1946 die nötige Garantie. Mit dieser erfolgte am 08.06.1946 ein Gesuch an das Schweizer Innenministerium mit der Anfrage ob denn die ausgestellte Sicherheit ausreiche oder der Betrag aus London überwiesen werden müsse.

Die Garantie genügte, die Heirat wurde am 05.09.1946 bewilligt und zu diesem Zweck die Verlegung ins Schloss Hilfikon, allerdings wurden keine Fahrscheine bewilligt und eine Mitarbeit bei der Heimarbeit (allerdings gegen Entschädigung) wurde ebenfalls verlangt. Am 27.09.1946 trafen Max und Ilona in Hilfikon ein, am 09.10.1946 erfolgte die Trauung und am selben Tag, wie behördlich verlangt, die Rückreise nach Davos.
Nach Davos zurückgekehrt logierte man laut einem Eintrag vom 04.02.1947 in der Villa Sylvia. Der behandelnde Chefarzt Dr. Geiger verordnete jetzt einen Ortswechsel nach Zürich zwecks Luftveränderung. Ilona vertrug aufgrund ihrer Verfassung das Höhenklima nicht mehr. Geiger schrieb: „…Sie hat einen Pneumothorax, der alle drei bis vier Wochen gefüllt werden muss. Da es sich […] um eine zarte nervöse Person handelt, war das Einfüllen der Lunge stets mit unangenehmen Begleiterscheinungen verbunden…“. Es wurde daher ein entsprechendes Gesuch am 06.02.1947 verfasst, da eine kurzfristige Aufenthaltsbewilligung für [Zürich] bereits am 31.03.1947 enden würde. Dies sollte sich jedoch noch als durchaus schwierig erweisen.