Sabine Fanger-Brill
Verwandtschaft zu Max Günsberg: Großtante, Schwester seiner väterlichen Großmutter
Sabine Fanger wurde am 12.01.1860 in Schurawno/Zurawno, nahe Lwiw (Lemberg) in der heutigen Ukraine, damals (bis 1918) österreichisches Kronland Galizien, als Tochter von Rafael und Sime Fanger geboren. Sie kam mit ihren Eltern und den Geschwistern Nathan, Paula und Abraham 1880 nach Wien, während ihre bereits großjährigen Schwestern Chaje Fanger-Gräber und Reisie Fanger-Günsberg bereits Familien gegründet hatten und daher in Galizien verblieben. Sabine Fanger heiratete am 04.02.1885 in Wien Moses/Moritz Brill (*06.11.1851 in Obłażnica bei Zurawno als Sohn von David und Mirl Brill), der aus einer Familie kam, die in Zurawno laut Branchenverzeichnis von 1891 einen Viehhandel betrieb und deren Abkömmlinge dann auch in Wien als Viehhändler tätig wurden (siehe weiter unten Hersch Brill und Sohn).

Am 03.09.1879 war Moses Brill nach Wien gekommen und zumindest bis 1894 am Viehmarkt als Ochsenschaffer tätig. [Der Begriff des Ochsenschaffers ist in keinem zeitgenössischen Wörterbuch und in keinerlei Literatur zu finden. Sehr wohl jedoch der Begriff des Viehschaffners. Laut Meyers Großem Konversationslexikon: „Viehschaffner (Viehpraxer), Wärter, Aufseher, auch Kaufvermittler für Vieh.“]
In den späten 1880er Jahren wohnten Moses und Sabine Brill im dritten Bezirk in der Unteren Viaduktgasse 33, um 1900 bis etwa 1902 in 1030 Wien, Gürtelstraße 29. Danach wohnten Sie an der selben Adresse wie Sabines Bruder Abraham /Adolf Fanger in 1030 Wien, Kleistgasse 23. Moses Brill war Mitglied des israelitischen Wohltätigkeits- und Krankenunterstützungsvereines "Mazmiach Jeschua”.
Moses und Sabine machten sich selbständig und betrieben eine eigene Fleischerei als Fleischwarenverschleisser (das bedeutet, Moses schlachtete nicht selbst) in 1030 Wien, Khunngasse 14. Moses Brill entstammte ja einer Fleischerfamilie aus Zurawno und auch andere seiner Familienmitglieder arbeiteten in Wien in diesem Gewerbe. So die Firma Hersch Brill und Sohn (David), die bereits 1876 gegründet worden war. Hersch und David Brill waren übrigens die Trauzeugen bei der Hochzeit von Moses und Sabine. Auch Sabine arbeitete im Betrieb mit ihrem Mann als Fleischhauerin, die laut dem Zeitungsartikel aus dem Jahr 1905 mit der Justiz in keinem besonders guten Einvernehmen stand. Dies sollte sich auch einige Jahre später nicht ändern, wie weiter unten zu lesen ist. Moses und Sabine Brill bekamen die sechs Kinder Netti, David, Marietta, Leonie, Rudolf und Adolf.
Sabines Mann Moses Brill starb in Wien am 05.08.1908 und wurde am 07.08.1908 in Wien begraben.
Danach bestand die Fleischerei weiter bis zu Sabines Tod. Sabine wohnte zu dieser Zeit gemeinsam mit ihrer Mutter Sime in 1030 Wien, Khunngasse 2, also direkt neben ihrem Bruder Abraham Fanger (Nr.4) und ganz in der Nähe der Fleischerei (Nr.14). Die Fleischerei dürfte jedoch nicht genug abgeworfen haben, so dass Sabine auf Einkünfte als "Ratenagentin" angewiesen war und sich in ein aufsehenerregendes Verbrechen verstrickte. Nur wenige Monate vor ihrem Tod wurde sie im zugehörigen Prozess im Mai 1911 wegen Hehlerei zu vier Monaten einfachen Kerker verurteilt. Am 24.07.1911 starb Sabine Fanger-Brill, als Todesursache wurde Zuckerkrankheit vermerkt. Sie wurde im Grab ihres Mannes beigesetzt.

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Netti/Jeanette Brill wurde am 01.01.1886 in Wien geboren. Ab 1903 wohnte sie in 1030 Wien, Untere Viaductgasse 3 und verdingte sich einige Jahre als Wäscheerzeugerin mit einem eigenen Geschäft im dritten Bezirk, Kolonitzplatz 7. Nach dem Tod ihrer Mutter Sabine (1911) findet sie sich im Wiener Adressbuch als Kaffeesiederin in 1020, Kaiser Josefstraße 36. An dieser Adresse (heute Heinestraße 36) befindet sich auch heute (2023) noch ein Kaffeehaus. Einige Jahre später (1918 bis etwa 1922) betrieb sie eine Spirituosenausschank im ersten Bezirk, Tiefer Graben 10. Um 1930 wohnte sie in Wien im dritten Bezirk, Hohlweggasse 33, und arbeitete als Bedienerin. Zuletzt wohnte sie in einer Sammelwohnung im zweiten Bezirk, Haasgasse 10 und wurde am 15.10.1941 ins Ghetto Lodz/Litzmannstadt deportiert. Am 13.01.1942 starb sie dort, als Todesursache ist Entkräftung angegeben. Vermögen wurde noch nachträglich laut Einziehungserkenntnis vom 19.07.1943 von Staats wegen geraubt.

Der Branntwein-Ausschank von Netti Brill in 1010 Wien, Tiefer Graben 10. [Klick] für Bild in voller Auflösung
- David Brill wurde am 05.06.1887 in Wien geboren. Er genoss hier acht Jahre Schulbildung (5 Jahre Volksschule, 3 Jahre Bürgerschule) und erlernte das Violinspiel. Laut einer Annonce vom 31.03.1911 (Neues Wiener Tagblatt, Seite 38) suchte er eine Anstellung als Verkäufer uns Arrangeur in der Galanterie-, Lederwaren- und Reiserequisitenbranche. Seit Beendigung des 20. Lebensjahres musste er wiederholt zur Musterung beim Militär, zuletzt in den Kriegsjahren von 1914 bis 1917. Er wurde zu seinem Glück jedoch jedes Mal als untauglich für den Dienst mit der Waffe befunden. Er wohnte frühestens ab 1911 bis 1915 in 1090 Wien, Pramergasse 29. Er heiratete am 02.04.1922 in Wien Scheindel Ehrenwort (*17.11.1896 in Strutyn) und bekam mit ihr am 04.03.1923 einen Sohn namens Otto Brill.
David Brill arbeitete als Verkäufer bei der Firma "Zum Mariahilfer Taschner" von Adolf Gutfreund, arbeitete demnach in der Branche, die er gelernt hatte (siehe Annonce von 1911), verlor seinen Job aber am 25.02.1938, also bereits einige Wochen vor dem Einmarsch der Nazis in Österreich. Als Arbeitslosengeld bekam er zu diesem Zeitpunkt 8,70 Reichsmark. Das Untermietzimmer in 1090 Wien, Müllnergasse 6/33, welches er nach dem Tod seiner Frau Scheindel (vor Juni 1938) mit seinem Sohn Otto bewohnte, kostete hingegen 25 Reichsmark. Diese völlige Mittellosigkeit sollte sich jedoch als Segen erweisen: David meldete seinen Sohn Otto zur Jugendalijah an, dieser wurde als förderungswürdig anerkannt und kam in den Genuss eines der sehr seltenen "Palästina-Zertifikate", die eine Ausreise nach Palästina ermöglichten.
David Brill füllte am 10.06.1938 einen Auswanderungsfragebogen aus und gab dort als in den USA lebenden Verwandten außer seinem Onkel Max Schenke noch eine Cousine namens Mina/Diena Katz (*16.11.1883) an (eine Tochter seiner Tante Ruchel Katz, geborene Brill) und weiters einen Cousin namens David Redisch (*17.05.1882), der aus Zurawno zunächst nach Wien und 1907 weiter nach Amerika ausgewandert und der Sohn von Davids Tante Breine Redisch (geborene Brill) war.
Am 26.10.1939 wurde David Brill zusammen mit rund 650 anderen Juden vom Wiener Aspangbahnhof nach Nisko in der Nähe von Lwiw/Lemberg deportiert. Die Zugstrecke verlief über Jaroslaw, Kattowitz (Katovice), Tarnow, Krakow und Mährisch Ostrau (Moravska Ostrava). Bei Ankunft zwangen die deutschen Wächter die Deportierten, zirka fünf Stunden bis zu einem im Aufbau befindlichen Barackenlager in der Sumpfgegend nahe dem Dorf Zarzecze zu marschieren. Unter den Insassen dieses Transportes wurden 48 Juden ausgewählt, die im Lager bleiben sollten. Der Rest wurde unter Androhung der Erschießung nach Osten zum Fluss San getrieben, in dessen Nähe damals die sowjetische Grenze verlief. Dort wurde ihnen befohlen, weiter zu marschieren, die Grenze zu überqueren und nicht zurückzukehren, da sonst auf sie geschossen werde. Viele der Juden, die die sowjetische Grenze überquerten, wurden vom NKWD in Zwangsarbeitslager nach Sibirien geschickt.
Nach Angaben des DÖW kam David Brill dabei ums Leben.
Über das Schicksal von Davids Frau Scheindel sind keine Informationen vorhanden. In seinem Auswanderungsfragebogen schien David Brill 1938 jedenfalls als Witwer auf, sie müsste demnach zuvor verstorben sein.
- Otto Brill wurde am 04.03.1923 in Wien als Sohn von David und Scheindel Brill geboren. Nach dem Tod seiner Mutter (vor 1938) bewohnte er gemeinsam mit seinem Vater David ein Untermietzimmer in 1090 Wien, Müllnergasse 6/33. Die völlige Mittellosigkeit seines Vaters sollte sich als Segen erweisen. David meldete seinen Sohn Otto zur Jugendalijah an, dieser wurde als förderungswürdig anerkannt und kam in den Genuss eines der sehr seltenen "Palästina-Zertifikate", die eine Ausreise nach Palästina ermöglichten. Otto Brill erhielt auf diese Weise am 01.08.1939 in Wien einen Pass und kam, zwar mit Verzögerung, deren Ursache nicht zu eruieren war, aber doch tatsächlich am 31.01.1940 im damals britischen Mandatsgebiet Palästina an, der Staat Israel sollte ja erst einige Jahre später, 1948, entstehen. In Palästina meldete er sich zum Militärdienst in der britischen Armee und trat diesen am 05.06.1941 an. Am 19.04.1942 suchte er um die palästinensische Staatsbürgerschaft an und erhielt diese am 28.10.1942. Am 21.11.1946 nahm er schließlich, auch im Gedenken an seinen ermordeten Vater, statt Otto den neuen Namen "Moshe Ben David" an. Er war mit Lily (*22.01.1924) verheiratet, die Ehe blieb jedoch kinderlos. Otto/David starb in England am 21.11.1985, er wurde in Hillingdon, Middlesex, westlich von London, begraben. Seine Frau Lily starb am 28.08.1996 ebenfalls in England und ist im selben Grab beigesetzt.
- Marietta/Marie Brill wurde am 23.12.1888 in Wien geboren. Ihr war allerdings kein langes Leben beschieden, sie starb noch als Säugling am 01.03.1889 an einer Lungenentzündung. Dennoch sollte sie viele Jahre später posthum noch eine Rolle spielen, wurde sie doch bei der Testamentseröffnung Ihres Onkels Abraham Fanger im Jahr 1914 als Erbberechtigte angeführt. Sogar ihre Unterschrift findet sich auf der Todfallsaufnahme ihres Onkels. Warum jemand anderes unter falschem Namen firmierte kann nur spekuliert werden. Möglicherweise sollte ein größeres Erbteil erschlichen werden. Maries Mutter Sabine Brill war bei früheren Gelegenheiten ja ähnlich "kreativ".
- Leonie/Helene Brill wurde am 21.04.1890 in Wien geboren. Im Jahr 1907 durfte sie ihre Tante Paula Schenke in New York besuchen, sie kam am 27.05.1907 in New York an. Sie trat am 20.03.1911 aus der israelitischen Glaubensgemeinschaft aus.
Nach dem Tod ihrer Mutter Sabine (26.07.1911) wurde die Vormundschaft der noch Minderjährigen (damals waren Frauen unter 24 Jahren nur in Ausnahmefällen als volljährig anerkannt) an einen Fleischwarenverschleisser mit einigen Filialen in Wien und Mödling, Samuel Metzger, übertragen. Der 1868 in Wien geborene Samuel Metzger war vor der nationalsozialistischen Machtübernahme im März 1938 ein langjähriges führendes Mitglied der Fleischer-Innung und im Jahr 1895 Mitbegründer des Krankenunterstützungsvereines Oseh Tow (=Man tut Gutes), dem er bis zu seinem Tod als Präsident vorstand. Er starb am 12.11.1938 im Rothschild-Spital in Wien an Lungenkrebs.
Die weitere Lebensgeschichte seines Mündels Leonie Brill ist hingegen unbekannt.
Die Namen von David Brill und Netti Brill sind auf der
Shoa Gedenkmauer in Wien eingraviert.