Familie Fanger

Familie der Großmutter von Max Günsberg, väterlicherseits

Die Familie Fanger stammte aus Schurawno/Zurawno, nahe Lwiw (Lemberg) in der heutigen Ukraine, damals (bis 1918) österreichisches Kronland Galizien. In dieser Kleinstadt bestand eine bedeutende jüdische Gemeinde, die dort im 19. Jahrhundert gut zwei Drittel der Gesamtbevölkerung stellte.

Postkarte aus Zurawno 1902

In den damaligen Medien schien Zurawno fast ausschließlich im Zusammenhang mit dem Ochsenhandel auf, jüdische Ochsenhändler lieferten galizisches Hornvieh überwiegend nach Olmütz und selbst in die ferne Residenzstadt Wien. Das Städtchen konnte dadurch ansehnlichen Wohlstand erlangen.

Max Günsbergs Urgroßeltern Rafael Fanger und Sime Fanger (geborene Katz) wurden in Zurawno geboren, heirateten hier 1853 und bekamen hier zwischen 1853 und 1862 sechs Kinder. Das Haus der Fangers lag nahe dem Zentrum von Zurawno, Nummer 148, wie auf dem Katasterplan von 1848 zu sehen:

Katasterplan Zurawno 1848

Katasterplan Zurawno 1848. [Klick] für Bild in Originalgröße

Im Jahr 1867 wurde als späte Folge der Revolution von 1848 in der k.u.k. Monarchie das Staatsgrundgesetz erlassen (Dezemberverfassung). Dieses räumte allen Staatsbürgern Niederlassungsfreiheit in der gesamten Monarchie ein. Erstmals überhaupt kamen damit auch Juden in den Genuss der vollen Staatsbürgerrechte, zum ersten Mal in der Geschichte waren sie anderen Ethnien gleichgestellt. Das bewog eine beachtliche Zahl der in Galizien und der Bukowina ansässigen Juden in den Folgejahren zur Übersiedlung nach Wien, das bessere wirtschaftliche Chancen versprach als das galizische Hinterland. Relativ spät, im Jahr 1880, entschloss sich auch ein großer Teil  der Familie Fanger, einen Neuanfang in Wien zu versuchen. Diese Zurawnoer gehörten damit zur ersten großen Welle galizischer Immigranten in Wien, mit der in den 1870er und 1880er Jahren einige Zehntausend Juden und Jüdinnen ankamen. Der Großteil dieser Einwanderer war nicht, wie etwa die zweite große Migrationsbewegung 40 Jahre später während und nach dem ersten Weltkrieg, großer Not gehorchend  und aus Angst vor der russischen Soldateska gekommen, sondern in der Hoffnung auf bessere wirtschaftliche Lebensbedingungen. Für die Prosperität Galiziens freilich war das nicht förderlich, die Abwanderung beschleunigte den wirtschaftlichen Niedergang.

Diese Hoffnung auf wirtschaftlichen Aufstieg in Wien war nicht unbegründet: die Bevölkerungszahl der Stadt wuchs zu  dieser Zeit rasant, ebenso entwickelte sich der Fleischbedarf fast exponentiell. Die Zurawnoer Viehhändler und Fleischhauer konnten sich in Wien also berechtigterweise gute Chancen ausrechnen. So gab es dann in und rund um die große Fleisch-Markthalle im dritten Bezirk buchstäblich an jeder Ecke Fleischer, insgesamt einige hundert. Allerdings waren die ansässigen Fleischer über die neue Konkurrenz ganz und gar nicht erfreut. Wie bei vielen ähnlichen Gelegenheiten mussten auch in diesem Fall xenophobe und antisemitische Argumente herhalten.

Max Günsbergs Urgroßeltern (die Eltern seiner väterlichen Großmutter) sowie seine Großtanten und Großonkel lebten also ab 1880 in Wien. Max Großeltern Jona Günsberg und Reisie Fanger-Günsberg hingegen verblieben in Galizien. Erst sein Vater Setyk Günsberg sollte mit der bereits angesprochenen zweiten und größeren Welle jüdischer Migranten im Jahr 1917 nach Wien kommen. Zu diesem Zeitpunkt war die vom Krieg schwer gezeichnete Ortschaft Zurawno nach oftmaligem Wechsel zwischen österreichischer und russischer Besatzung dem Erdboden gleichgemacht.


Während und nach dem ersten Weltkrieg kamen noch etliche andere Familienmitglieder nach Wien, die größtenteils auch hier lebten. Die Schicksale einiger Nachfahren sind unbekannt. Von den bekannten Nachfahren endet Im Jahr 1958 mit dem Tod von Norbert Nachum Fanger (Enkel von Chaje Fanger), der über Wien nach Palästina emigriert war, die namentliche Stammlinie der Fangers.